Formen des Septuagintatextes der alttestamentlichen Geschichtsbücher (Samuel- und Königebücher mit Schwerpunkt 2 Samuel).
Zusammenfassung der Projektergebnisse
1. Problemstellung und Forschungssituation Die Textgeschichte der griechischen Übersetzung des Alten Testaments (Septuaginta) wird traditionell so gesehen, dass die Übersetzung der einzelnen Schriften aus den hebräischen Vorlagen von der Mitte des 3. Jh. v.Chr. bis etwa zur Mitte des 2. Jh.s v. Chr. erfolgte und dass es in der Überlieferung zwei wichtige Einschnitte gab, nämlich die Hexapla des Origines um 230 n.Chr., der eine Überprüfung des Textes an Hand eines hebräischen Bezugstextes vornahm, und die lukianische Redaktion, die um 300 n.Chr. erhebliche Änderungen im Sinn eines besseren Griechisch durchführte, wobei diese Änderungen allerdings uneinheitlich erfolgt seien (sowohl Hinzufügung als auch Streichung des Artikels, erklärender Wörter und sprachlicher Verbesserungen). Übereinstimmungen mit älteren Zitaten (1. Jh. n.Chr.: Josephus, Neues Testament) oder der Übersetzung ins Lateinische (Vetus Latina, 2. Jh. n.Chr.) führten zwar zur Frage nach protolukianischen Textanteilen, die Berührungen wurden aber weithin als sekundäre Beeinflussung zwischen den Handschriften abgetan. Diese Relativierung ist seit den Qumranfunden nicht mehr pauschal möglich. Die Funde aus Qumran bzw. der Wüste Juda ermöglichten zudem die Entdeckung der sog. kaige-Bearbeitung durch D. Barthélemy, zumindest für die Bücher Samuel-Könige und das Zwölfprophetenbuch. Diese stark formalistische kaige-Bearbeitung erfolgte im 1.Jh. v.Chr und war damit eine vorchristliche, innerjüdische Revision des biblischen Textes. Ergänzend war D. Barthélemy zu der Ansicht gelangt, dass der sog. lukianische, neutraler gesagt: Antiochenische Text sachlich und zeitlich vor der kaige-Rezension einzuordnen ist und somit der ursprünglichen Septuaginta sehr nahe steht bzw. ihr entspricht. Während die kaige-Rezension in der Forschung weithin akzeptiert ist, wurde der zweite Aspekt nur teilweise und in Kompromissmodellen anerkannt. 2) Die neue Perspektive und das durchgeführte Projekt In mehreren Studien wurde – zunächst für die kaige-Abschnitte des Kodex Vaticanus (d.i. im Wesentlichen 2. Samuelbuch 11ff. und 2. Königebuch zur Gänze) – von S. Kreuzer ein neuer methodischer Zugang zur Problematik entwickelt. Unter Berücksichtigung des frühjüdischen Schriftverständnisses konnte nicht nur gezeigt werden, dass die kaige-Rezension eine stark formalistische, isomorphe Anpassung an die hebräischen Bezugstexte vornahm, sondern dass in der Tat der antiochenische Text die ältere Grundlage dieser Revision war und vor allem, dass sich in dieser Perspektive eine konsistente Erklärung der Varianten geben lässt. Dieser neue methodische Zugang ist generell anwendbar und unabhängig vom Vorhandensein von Qumrantexten oder von Zitaten. Im Projekt ging es darum, diese Erkenntnisse an einigen kaige-Abschnitten aus 2Sam aufzuzeigen und die Untersuchung auf die nicht-kaige-Abschnitte in 2Sam 1-10 auszudehnen, in denen der Text des Kodex Vaticanus (B) als am ältesten gilt. Es zeigte sich, dass zwar, wie zu erwarten, hier der B-Text und der Antiochenische Text sehr nahe zueinander sind, dass aber auch hier der Antiochenische Text der ursprünglichen Septuaginta am nächsten steht und der B-Text eine mildere Bearbeitung erfahren hat, die als semi-kaige-Bearbeitung bezeichnet wurde. Auf der Grundlage dieser Erkenntnisse wurde im Rahmen des Projektes an Hand aller relevanten Texte (Qumran, griechische Handschriften, Zitate und Tochterübersetzungen) eine kritische Edition von 2Samuel 1-12 mit Rekonstruktion der ursprünglichen Septuaginta („Old Greek“) erstellt. In begleitenden Studien wurden die Untersuchungen auf weitere Textbereiche und u.a. auf Zitate im Neuen Testament ausgedehnt. 3) Anwendung Die Ergebnisse des Projektes liefern wesentliche Grundlagen für künftige kritische Editionen des griechischen Textes der Geschichtsbücher und implizieren kritische Anfragen an den Theorierahmen bisheriger Bearbeitungen und Analysen der Septuaginta (einschl. der Septuagintazitate).
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- Translation and Recensions: Old Greek, Kaige, and Antiochene Text in Samuel and Reigns, BIOSCS 42 (2009), 34-51
Siegfried Kreuzer
- A Reply to M. Law and T. Kauhannen, Bulletin for Septuagint and Cognate Studies (BIOSCS) 43 (2010) 91-97
Siegfried Kreuzer
- A Tool for Studying the Greek Text of 2Sam/2Reigns 1-14 and its Manuscripts, (Hinweis auf und Beschreibung der im Internet zugänglichen, durchsuchbaren Transposition des Septuagintatextes von 2Sam 1-14 nach Brooke-McLean, Bulletin for Septuagint and Cognate Studies (BIOSCS) 43 (2010), 151-152
Siegfried Kreuzer
- Die Bedeutung des antiochenischen Textes für die älteste Septuaginta (Old Greek) und für das Neue Testament”, Tagung „Von der Septuaginta zum Neuen Testament. Kongress der Studiorum Novi Testamenti Societas, Wien August 2009, in: M. Karrer / S. Kreuzer / M. Sigismund, Von der Septuaginta zum Neuen Testament, ANTF 43, Berlin: de Gruyter 2010, 13-38
Siegfried Kreuzer
- Die Zeugen des Antiochenischen Textes in 2Samuel, in: M. Karrer / S. Kreuzer / M. Sigismund, Von der Septuaginta zum Neuen Testament, ANTF 43, Berlin: de Gruyter 2010, 13-38
Marcus Sigismund
- Entstehung und Entwicklung der Septuaginta im Kontext alexandrinischer und frühjüdischer Kultur und Bildung, in: Septuaginta-deutsch. Erläuterungen und Kommentare, Stuttgart 2011, 3-39
Siegfried Kreuzer
- Textformen und Bearbeitungen. Kriterien zur Frage der ältesten Textgestalt, insbesondere des Septuagintatextes, anhand von 2 Samuel 12, in: Archaeology of the Books of Samuel. The Entangling of the Textual and Literary History, Philippe Hugo / Adrian Schenker (Hg.), VTS 132, Leiden: Brill 2010, 91-115
Siegfried Kreuzer
- Zwischen Kreti und Plethi Anmerkungen zu den griechischen Versionen von 2Sam 20,23-26 und Rekonstruktion der ‚Old Greek’, in: M. Karrer / S. Kreuzer / M. Sigismund, Von der Septuaginta zum Neuen Testament, ANTF 43, Berlin: de Gruyter 2010, 51-74
Marcus Sigismund