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Formierung von nationaler Identität und regionalem Bewusstsein unter den türkischen Zyprioten nach 1974

Fachliche Zuordnung Neuere und Neueste Geschichte (einschl. Europäische Geschichte der Neuzeit und Außereuropäische Geschichte)
Förderung Förderung von 2004 bis 2010
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 5439349
 
Erstellungsjahr 2009

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Das Projekt konnte für die Zeit seit 1974 drei Hauptlinien der Identitätsformierung unter den türkischen Zyprioten nachweisen, die zum Teil miteinander konkurrieren, sich andererseits auch überschneiden können oder nicht explizit ausgedrückt werden. Der türkische Nationalismus, der in den Konfliktjahren in Form eines militanten Separatismus die Hegemonie in dieser Bevölkerungsgruppe erringen konnte, betonte immer die ethnisch-türkische Identität der türkischen Zyprioten und deren Einheit mit der Türkei, strebte aber gleichzeitig nach Anerkennung der Gemeinschaft als Teil der europäischen .Zivilisation'. Nach der Teilung der Insel verfolgte der türkische Nationalismus das Ziel eines unabhängigen türkischen Separatstaats und konnte die türkisch-zypriotische Politik bis zur EU- und Annan-Plan-Kontoverse dominieren. In Abgrenzung dazu entwickelte die türkisch-zypriotische Linke nach 1974 das Konzept eines von griechischen und türkischen Bewohnern geteilten Zypriotentums, das jedoch zunächst keine Reaktion gegen die Türkei oder die festlandtürkische Einwanderung darstellte, sondern sich gegen die autokratische nationalistische Führung richtete. Erst mit zunehmender Polarisierung in den 1980ern begann die linke Opposition die türkische Dominanz und die Rolle der Migranten aus Anatolien zu kritisieren. Sie übernahm dabei den türkisch-nationalistischen Anerkennungs- und Zivilisationsdiskurs und richtete ihn nunmehr gegen die Türkei. In dieser Hinsicht propagierte der Zypriotismus als politisches Konzept eine gemeinsame zypriotische Identität, die .europäischer' sei als die festlandtürkische Identität. Die Manifestation einer eigenständigen türkisch-zypriotischen Identität wiederum hat sich am wenigsten deutlich herausgebildet und ist bislang nur ansatzweise als klar umrissenes politisches Konzept formuliert worden. Allerdings verdeckte die Wiedervereinigungsrhetorik der türkisch-zypriotischen Opposition - wie sie etwa die Auseinandersetzung um den EU-Beitritt und den Annan-Plan prägte -, dass der populäre Appell an zypriotische Identität in weiten Teilen auf der Vorstellung einer eigenständigen türkisch-zypriotischen Identität gründete. Nach dem Scheitern des Annan-Plans 2004 ist eine derartige Vorstellung türkisch-zypriotischer Differenz sowohl gegenüber Festlandtürken als auch griechischen Zyprioten in den Vordergrund getreten. Das sich formierende ,nordzypriotische' Identitätsbewusstsein ist dabei bereit, die alteingegessenen Einwanderer aus der Türkei zu integrieren, während es die neuere Arbeitsmigration vom Festland ablehnt. Was die Rolle der türkeistämmigen Immigranten im Prozess der Identitätsdifferenzierung betrifft, zeigte das Projekt, dass die Geschichte des Verhältnisses zwischen türkischen Zyprioten und Türken komplexer verlief als der oft behauptete Konflikt zwischen zypriotischer und festlandtürkischer Identität. Die Reaktionen gegen die Siedler und Einwanderer aus Anatolien basieren meist auf sozialen Unterschieden, Habitus und Lebensweise und ähneln damit Bildern von Arbeitsmigranten in anderen Ländern oder von Binnenmigranten in der Türkei. Diese Stereotypen haben immer auch ideologische Grenzen zwischen Anhängern des türkischen Nationalismus und denen eines gemeinsamen Zypriotentums überschritten. Gleichzeitig lässt sich auch eine differenzierte Manifestation von Identitäten bei den Einwanderern selbst feststellen.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • "Assessing Transnational Renegotiation in the Post-1974 Turkish Cypriot Community: 'Cyprus Donkeys', 'Black Beards' and the 'EU Carrot'", in: Southeast European and Black Sea Studies 6, no. 4, 2006, 523-542
    Christoph Ramm
  • "Bevölkerungsverschiebungen, Siedlungspolitik und ethnisch-kulturelle Homogenisierung: Nationsbildung auf dem Balkan und in Kleinasien, 1878-1923", in Sylvia Hahn, Andrea Komlosy und Ilse Reiter (eds.), Ausweisung - Abschiebung - Vertreibung in Europa. 16.-20. Jahrhundert (Innsbruck-Wien-Bozen: Studien Verlag, 2006), 172-192
    Fikret Adanir
  • "Christen im Osmanischen Reich und in der Türkei", in Udo Steinbach (ed.), Autochthone Christen im Nahen Osten. Zwischen Verfolgungsdruck und Auswanderung (Hamburg: Deutsches Orient-Institut, 2006), 172-176
    Fikret Adanir
  • "Westlertum, Islam und Demokratie in den politischen Diskursen der Türkei", in Gabriella Schubert and Holm Sundhaussen (eds.), Prowestliche und antiwestUche Diskurse in den Balkanländern /Südosteuropa (München: Otto Sagner, 2008), 11-30
    Fikret Adanir
 
 

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