Generalmajor Alexej Alexandrowitsch von Lampe und die russische Emigrantenkolonie in Berlin 1923-1945
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Sowohl die westliche als auch die russische Historiographie beschäftigt sich seit dem Zerfall der Sowjetunion im Jahr 1991 verstärkt mit der Geschichte der russischen Emigration sowie mit den entsprechenden Selbstzeugnissen und der Autobiographikforschung. Eine umfassende Untersuchung der Person Aleksej von Lampes und seines Lebens lag dabei bisher jedoch nicht vor. Das Projekt kann somit zum einen an der Schnittstelle zwischen den beiden genannten Forschungsfeldern verortet werden, zum anderen konnte es durch die erstmalige Zusammenführung und umfassende Analyse seines gesamten Nachlasses sowie durch die Fokussierung auf sein detailliertes Tagebuch eine wichtige Lücke in der Forschung schließen. Im Zentrum des Projekts standen das Leben Aleksej von Lampes, seine Lebenswelt und seine Handlungsspielräume. Der Generalmajor beteiligte sich nach der Oktoberrevolution 1917 am Aufbau der Weißen Bewegung und wurde als deren Vertreter nach einigen Zwischenstationen nach Berlin entsandt und mit der dortigen Abteilung des ROVS betraut, welche die zarischen Militärs in der Emigration organisieren sollte. Dadurch wurde Lampe zu einer zentralen Figur des Russischen Berlins, die sich nicht nur in militärische Angelegenheiten einbrachte, sondern auch in zahlreiche weitere Einrichtungen, Vereine oder kulturelle Bereiche. Lampe blieb auch nach dem Niedergang des Russischen Berlins in der deutschen Hauptstadt und durch seine Entscheidung, mit den Nationalsozialisten zusammenzuarbeiten, eröffnet sein Nachlass einen tiefergehenden Einblick in die Möglichkeiten und Handlungsspielräume der russischen Emigranten während der Jahre 1933 bis 1945. Auch nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges blieb Lampe ein wichtiger Bestandteil der russischen Emigration, indem er sich zunächst in Süddeutschland und anschließend in Paris für die verbliebenen Emigranten einsetzte. Auf den ersten Blick wirkt Aleksej von Lampe wie ein trockener und durchschaubarer zarischer Offizier in der Emigration. Doch seine Tagebuchaufzeichnungen haben den Zugang zu einer äußerst facettenreichen Persönlichkeit eröffnet, die immer wieder mit neuen Projekten, Kompetenzen und insbesondere mit verschiedenen Selbstentwürfen in ihren autobiographischen Aufzeichnungen überraschte. Lampe kann nicht mit einigen wenigen Attributen beschrieben werden, denn wie das vorliegende Projekt gezeigt hat, war er vieles: Er präsentierte sich in seinem Tagebuch als liebevoller Familienvater, als Militärjournalist, als Patron für die ihm unterstellten Offiziere, als Film- und Museumsexperte, als Monarchist, der das Volk über die Staatsform abstimmen lassen wollte, sowie vor allem als Gegenspieler der Bolschewiki. Und Aleksej von Lampe wollte noch so viel mehr sein, wie etwa seine Versuche zeigten, eine Anstellung als professioneller Archivar zu erlangen oder sich als Historiker zu etablieren. Doch der Generalmajor war in erster Linie eins: Chronist und Bewahrer der russischen Lebenswelt in der Emigration. Seinem Leitziel entsprechend hat er der Nachwelt mit seiner Hinterlassenschaft sein Verständnis und seine Wahrnehmung einer Epoche aufgezeigt und zugleich einen umfassenden Zugang zu eben dieser eröffnet.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- Das Netzwerk des Generalmajors Aleksej von Lampe in der russischen Emigrantenkolonie im Berlin der frühen 1920er Jahre, in: Müller, Christian u.a. (Hg.): Nahbeziehungen zwischen Freundschaft und Patronage. Zur Politik und Typologie affektiver Vergemeinschaftung, Göttingen 2017, S. 37-57 (Freunde-Gönner-Getreue. Studien zur Semantik und Praxis von Freundschaft und Patronage, Bd. 12)
Ritter, Laura
(Siehe online unter https://doi.org/10.14220/9783737006156.37) - Schreiben, um zu berichten. Schreiben, um zu kitten. Das Tagebuch des Generals Aleksej von Lampe als Spiegel der Emigrationserfahrung, 1919-1945, in: Gehmacher, Johanna u.a. (Hg.): Biografien und Migrationen. Themenheft der Österreichischen Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 29/3 (2018)
Ritter, Laura