Räumliche Referenzierung im Sprachvergleich: Kulturelle Präferenzen und kognitive Implikationen
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Sprecher unterschiedlicher Sprachen unterscheiden sich darin, welchen Referenzrahmen (frame of reference, FoR) sie für die Beschreibung räumlicher Konstellationen bevorzugt nutzen. Dass solche Präferenzen über rein sprachliche Gewohnheiten hinaus auch kognitive Auswirkungen haben, macht sie nicht nur für die ethnolinguistische, sondern auch für die psychologische Forschung interessant. Insbesondere die translationale und reflexive Variante des relativen FoRs, die zu gegenläufigen Zuschreibungen von VORNE und HINTEN führen, erlauben es beispielsweise zu untersuchen, in welchem Umfang entsprechende Präferenzen sich auf die Konzeptualisierung zeitlicher Relationen einerseits sowie auf evaluative Prozesse andererseits auswirken. Zentrale Instrumente zur Datenerhebung in unserem Projekt waren ein groß angelegter Survey mit experimentellen Manipulationen und zwei sprachvergleichende IAT-Studien, ergänzt durch ein Review theoretischer Ansätze und empirischer Befunde, durch eine Modellierung komplexer Datensätze mit multinomialen Verfahren (MPT-Modellen) sowie durch eine Reihe begleitender Studien in Form von Qualifizierungsarbeiten. Der Survey (in derzeit 10 Sprachen / 14 Ländern) hatte zum Ziel, zunächst die kulturelle und individuelle Varianz in den Präferenzen für räumliche Referenzrahmen zu dokumentieren; die experimentellen Manipulationen erlaubten es darüber hinaus zu prüfen, wie räumliche und zeitliche Referenzierungen korrespondieren und von welchen Faktoren sie gegebenenfalls beeinflusst werden. Zu den zentralen Befunden gehören substantielle Unterschiede in den Präferenzen bei statisch-räumlicher Anordnung und frontaler Referenzierung – sowohl zwischen Sprachen als auch zwischen den Sprechern einzelner Sprachen – die bei rückwärtiger (dorsaler) Referenzierung allerdings fast vollständig verschwinden (oder genauer: in ein Antwortmuster zusammenfallen). Über verschiedene Erhebungsinstrumente und -kontexte hinweg zeigte sich zudem, dass die Präferenzen für zeitliche FoRs nicht nennenswert mit denen für räumliche FoRs korrelieren; selbst innerhalb einer Domäne nutzen Personen oft unterschiedliche Quellen für ihre Referenzierungsstrategien, und zwar für die Zeit ebenso wie für den Raum. Für die Modellierung dieser komplexen Datensätze hat sich die MPT-Analyse bewährt. Sie erlaubt es abzuschätzen, mit welcher Wahrscheinlichkeit einzelne FoRs gewählt wurden, dabei relevante Prozesse und Einflussfaktoren zu berücksichtigen und die Daten sprachvergleichend inferenzstatistisch zu analysieren. Dass die Präferenzen für einen FoR auch Evaluationen beeinflussen, zeigte sich in den zwei IAT-Studien (mit insgesamt rund 220 deutschen, chinesischen und japanischen Versuchsteilnehmern). So ist zwar generell ein als „vorne“ konzeptualisiertes Objekt positiver assoziiert als ein als „hinten“ konzeptualisiertes; allerding gilt dies für das näher zum Betrachter gelegene Objekt bei reflexiver Präferenz, jedoch für das weiter entfernte bei translationaler Präferenz, und ist damit abhängig von der individuell bestimmten relativen Position der Objekte zueinander. Insgesamt legen die Befunde aus diesem Projekt also nahe, dass Referenzrahmen zwar kulturellsprachlichen Konventionen folgen, daneben aber auch inter-individuell variieren können, und dass sie sich umgekehrt nicht nur auf kognitive, sondern auch evaluative Prozesse auswirken.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- (2013). Influences beyond language? A comparison of spatial referencing in native French speakers from four countries. In M. Knauff, M. Pauen, N. Sebanz, & I. Wachsmuth (Eds.), Proceedings of the 35th Annual Conference of the Cognitive Science Society (pp. 2602-2607). Austin, TX
Hüther, L., Bentz, A., Spada, H., Bender, A., & Beller, S.
- (2014). Mapping spatial frames of reference onto time: A review of theoretical accounts and empirical findings. Cognition, 132, 342-382
Bender, A., & Beller, S.
(Siehe online unter https://doi.org/10.1016/j.cognition.2014.03.016) - (2015). Turn around to have a look? Spatial referencing in dorsal vs. frontal settings in cross-linguistic comparison. Frontiers in Psychology, 6:1283, 1-17
Beller, S., Singmann, H., Hüther, L., & Bender, A.
(Siehe online unter https://doi.org/10.3389/fpsyg.2015.01283) - . (2016). Perspective taking in referring to objects behind versus in front of an observer: Frames of reference, intraindividual consistency, and response latencies. Quarterly Journal of Experimental Psychology, 69, 1384-1408
Beller, S., Bohlen, J., Hüther, L., & Bender, A.
(Siehe online unter https://doi.org/10.1080/17470218.2015.1083593) - (2017). How relative is the relative frame of reference? Front and back in Norwegian, Farsi, German, and Japanese. Proceedings of the 39th Annual Conference of the Cognitive Science Society. Austin, TX. S. 118-123
Beller, S., & Bender, A.
- (2017). Representing time in terms of space: Directions of mental timelines in Norwegian. Proceedings of the 39th Annual Conference of the Cognitive Science Society. Austin, TX. S. 1617-1622
Bender, A., Sjåfjell, K., Rothe-Wulf, A., & Beller, S.