Der Einfluss des deutschen Islambildes auf die Alltagsgestaltung und raumbezogene Identitätsbildung muslimischer Araber in Nordrhein-Westfalen
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Im Zentrum des Projekts stand die Frage danach, wie das in Deutschland vorherrschende Bild „des Islams“ und „der Muslime“ von denjenigen rezipiert wird, die hier leben und als Muslime wahrgenommen werden. Konkret wurde die Frage gestellt, wie sich diese zumeist negativ konnotierten medialen und gesellschaftlichen Diskurse auf die Identitätskonstruktionen und das Alltagleben der Betroffenen auswirken. Da Diskussionen über Muslime in Deutschland seit Mitte der 2000er Jahre zunehmend mit Debatten zu Zuwanderung und Integration verknüpft werden, wurden für die im Projekt geführten narrativ-problemzentrieten Interviews ebenfalls aufgrund ihrer Herkunft „sichtbare“ Muslime ausgewählt. Mit dem Fokus auf marokkostämmigen Personen bietet das Projekt neue Erkenntnisse über eine bisher vergleichsweise wenig berücksichtigte Zuwanderergruppe. Eine zentrale Herausforderung des Projektes auf theoretischer Ebene lag in der Verknüpfung einer diskurstheoretisch angelegten Analyse des deutschen Islambildes mit einer stärker subjektzentrierten Analyse der Interviews. Ausgehend von einer vertieften Beschäftigung mit den theoretischen Konzeptionen von Laclau und Mouffe, Bourdieu, Butler und Foucault wurde ein Subjektverständnis entwickelt, das sowohl mit poststrukturalistisch-diskurstheoretischen als auch mit praxistheoretischen Forschungsansätzen kompatibel ist. Das Konzept der narrativen Identität, mit dem die im Interview generierten Erzählungen als interaktive und konstruktive Leistung aller Beteiligten definiert werden bietet einen mit dem skizzierten Subjektverständnis kompatiblen Analyseansatz. Diese Methodik eignete sich ideal, um der Diversität der Lebenssituationen gerecht zu werden, die sich als ein zentrales Forschungsergebnis herauskristallisiert hat. Das erarbeitete Konzept der „Translokalen Positionierungen“ offeriert einen Analyserahmen für die Untersuchung von raumbezogenen Zugehörigkeiten und diskursbezogene Stereotypisierungen nicht nur mit Bezug auf (Post-)Migranten sondern auch ganz allgemein für gesellschaftlich und räumlich konstituierte Subjekte. Die Analyse der Interviews hat gezeigt, dass die erhöhte Repräsentanz der sozial konstruierten Kategorie „Muslime“ sowie deren negative Konnotation von fast allen der Befragten wahrgenommen wird (Ausnahme: Minderheit ohne deutsche Sprachkenntnisse). Als neue sozial relevante Kategorie beeinflusst die Zuschreibung „Muslim“ das Selbst-Verständnis und wirkt daher in bestimmten Situationen und Zusammenhängen auch handlungsleitend. Durch eine öffentlich sichtbare Religionspraxis, wie z.B. dem Kopftuchtragen gläubiger Musliminnen, wird die Wahrscheinlichkeit von Diskriminierungserfahrungen deutlich erhöht. Die Frauen stehen häufig vor der Wahl, entweder eine Arbeit (oder Wohnung) zu bekommen oder zu behalten, oder aber auf die von ihnen selbst als wünschenswert und moralisch-religiös für richtig gehaltene Praxis der Kopfbedeckung verzichten zu müssen. Die Gleichsetzung von „Deutschen“ mit „Nicht-Muslimen“ im öffentlichen Diskurs, die deutsche Muslime aus einer derart konzipierten Vorstellung von Gemeinschaft ausschließt, ist für diejenigen besonders schwer zu ertragen, die in Deutschland aufgewachsen sind und sich daher zugehörig fühlen. Dagegen identifiziert sich die erste Generation der Arbeitsmigranten zumeist weiterhin mit ihrem Gaststatus. Auch die Studienmigranten können aufgrund ihrer Migrationserfahrung die Kategorisierung als „Ausländer“ besser mit ihrem Eigenkonzept vereinbaren. Darüber hinaus bietet ihnen ihr z.T. hoher sozialer Status bzw. die internationale Nachfrage nach ihren Kompetenzen die Möglichkeit, die negativen Anrufungen emotional und real (durch Migration) auf Distanz zu halten.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- (2013): Muslim political participation in Germany: a structurationist approach. In: Nielsen, J. (Hrsg.): Muslim Political Participation in Europe. Edinburgh: Edinburgh University Press, S. 34-60
Didero, M.
- (2013): Neue Heimat NRW – wo marokkostämmige Migranten zu Hause sind. In: Schneiders, T. (Hrsg.): Die Araber im 21. Jahrhundert. Wiesbaden, S. 367-389
Didero, M. und C. Pfaffenbach
- (2014): Islambild und Identität. Subjektivierungen von Deutsch-Marokkanern zwischen Diskurs und Disposition. Bielefeld: Transcript
Didero, M.