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Russisches Kirchenslavisch im 15. und 16. Jahrhundert: Zur (In)Variabilität seiner Normen (am Material des Kommentierten Apostolos)

Fachliche Zuordnung Angewandte Sprachwissenschaften, Computerlinguistik
Förderung Förderung von 2008 bis 2014
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 84825564
 
Erstellungsjahr 2014

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Den zentralen Gegenstand des Projektvorhabens bildete die Redigierung des bisher kaum untersuchten slavischen Kommentierten Apostolos (ksl. tolkovyj Apostol) bei der Zusammenstellung der Großen Lesemenäen im 16. Jh. Es geht um einen wesentlichen Teil des Neuen Testamentes (ohne Evangelien und Offenbarung des Johannes) in der Version, die mit den Kommentaren der Kirchenväter versehen und für die fromme Lektüre außerhalb des Gottesdienstes bestimmt war. Text- und sprachgeschichttich stellt der Kommentierte Apostolos ein äußerst heterogenes Gebilde dar, denn er beinhaltet zwei verschiedene, im 15. Jh. zusammengefügte Übersetzungen aus dem Griechischen, nämlich 1) eine ältere Übersetzung der Paulusbriefe, die seit dem 12. Jh. ausschließlich in den altrussischen Handschriften überliefert ist, und 2) eine im 14. Jh. entstandene bulgarisch-kirchenslavische Übersetzung des übrigen Teils des Kommentierten Apostolos (d. h. der Apostelgeschichte und der ökumenischen Briefe), die aus der bulgarisch-serbischen Tradition (vermutlich über Athos) in das altrussische Schrifttum Eingang fand. Erstmalig wurde die Textgeschichte des slavischen Kommentierten Apostolos unter die Lupe genommen. Dabei wurden mehrere Texttraditionen bzw. Handschriftengruppen festgestellt, sodass die Basisquellen (d. h. die beiden Apostoli in den Großen Lesemenäen) in einer diachronen Perspektive betrachtet werden konnten. Die grundlegende textgeschichtliche Feststellung betrifft das Verhältnis zwischen den zwei in die Großen Lesemenäen inkorporierten Kommentierten Apostoli - dem Uspenskij (Usp) und dem Carskij (Car): Im jüngeren („Tyrnover") Teil stimmen Usp und Car überein, beide setzten dabei die vorherige Texttradition des „kontaminierten" Kommentierten Apostolos fort, während sich im älteren („Paulus"-)Teil die beiden Apostoli der Großen Lesemenäen auf allen Ebenen voneinander unterscheiden, sodass sie zwei verschiedene Versionen (Textredaktionen) des Kommentierten Apostolos darstellen. Dabei setzt Car - genauso wie im jüngeren Teil des Textes - die Tradition des „kontaminierten" Kommentierten Apostolos (des Typus GIM Sin. 18) fort. Usp dagegen erscheint als Resultat einer umfassenden Redigierung, die im Laufe der Arbeit an den Großen Lesemenäen im Kreis der Makarios-Mitarbeiter durchgeführt wurde. Das Endprodukt der Redigierung, das im Uspenskij spisok der Menäen (Monat Juni) Niederschlag fand, bietet ein sehr dankbares Material für die Untersuchung der philologischen Strategien bzw. des Kirchenslavischen der Epoche. Vor dem kulturhistorischen Hintergrund des ideologisch prägnanten Menäen-Projekts des Metropoliten Makarij konnte gezeigt werden, dass die Grundtendenz der Redigierung in der Aktualisierung des neutestamentlichen Textes bzw. in seiner Anpassung an die athonitische Version (russ. afonskaja redakcija) bestand. Auf der sprachlichen Ebene drückte sich diese Tendenz (auch im Text der Kommentare) vor allem in der Ersetzung bestimmter Lexeme aus, die der vorhergehenden Texttradition des slavischen Neuen Testaments zu eigen waren und nun ihr Prestige verloren, aber auch in der breiteren Zulassung nicht nur von orthographischen, sondern auch von bestimmten morphologischen und syntaktischen Sprachelementen südslavischer Herkunft. Das Grundmerkmal des dabei entstandenen Kirchenslavischen ist sein kumulativer Charakter und die Variabilität seiner Grammatik und Lexik. Genetisch gesehen ist diese Sprache bunt, sie bietet allerdings eine neue Verteilung von heterogenen (mittelbulgarischen, serbischen, russischen) Elementen und stellt eine neue Synthese in der Entwicklungsgeschichte des Kirchenslavischen dar. Die Variation findet sowohl innerhalb eines Teiltexts als auch innerhalb des ganzen Werkes statt. Da dieses Kirchenslavisch stark an bestimmten prestigeträchtigen Textvorbildern und weniger an bestimmten Sprachregeln orientiert ist, geschieht die Normenentwicklung (/-Verschiebung) erst bei der bewussten Redigierung des Textes, was nur in einem der beiden Kommentierten Apostoli der Großen Lesemenäen, nämlich im Uspenskij, der Fall ist. Im Carskij dagegen, wo keine Veränderungen gegenüber der vorhergehenden Textgestalt auf der Makroebene stattfinden, bleibt auch die ältere sprachliche Gestalt fast intakt. Im Fokus steht Text (Übersetzung) und nicht Grammatik. Die oben geschilderten Ergebnisse bilden eine text- und sprachgeschichtlich fundierte Grundlage für die weitere Untersuchung des Kommentierten Apostolos als einer besonderen Übertieferungsform des Neuen Testaments in der Slavia Orthodoxa.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • Terminologija biblejskoj citaty i tolkovanija v rukopisjach tolkovogo Apostola XII - XVI vekov. In: Bibleistika. Slavistika. Rusistika: K 70-letiju ... A. A. Alekseeva. St. Petersburg, 2011. S. 387-398
    Marina Bobrik
  • Tolkovyj Apöstol v Velikich Čet'ich Minejach: dva spiska - dve redakcii. In: Lingvističeskoe istočnikovedenie i istorija russkogo jazyka: 2010-2011. Moskva, 2011. S. 52-102
    Marina Bobrik
  • „Tyrnovskij" perevod tolkovogo Apostola v sostave Velikich čet'ich minej. In: Tămovska knižovna skola. Tom IX: Tămovo i idejata za christijanskija universalizăm (Xll-XV v.). Veliko Tanovo, 2011. S. 267-293
    Marina Bobrik
  • Konstrukcija v Tolkovom apostole. In: Schnittpunkt Slavistik. Ost und West im wissenschaftlichen Dialog. Festgabe für Helmut Keipert zum 70. Geburtstag. Hrsg. von I. Podtergera. Teil 3: Vom Wort zum Text. Göttingen, 2012. S. 145-160
    Marina Bobrik
  • Slavjanskij Apostol: Istorija teksta i jazyk / Hrsg. von M. Bobrik (= Studies on Language and Culture in Central and Eastern Europe. Hrsg. von Ch. Voß, Bd. 21). München, Berlin, Washington, 2013
    Marina Bobrik
 
 

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