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Pragmalinguistische Grundlagenforschung in den Ringsprachen Kameruns (3): Kommunikative Strategien des Bittens, Klagens und Entschuldigens im Kontext kulturspezifischer Normen und Wertvorstellungen

Fachliche Zuordnung Angewandte Sprachwissenschaften, Computerlinguistik
Afrika-, Amerika- und Ozeanienbezogene Wissenschaften
Förderung Förderung von 2008 bis 2015
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 84395246
 
Erstellungsjahr 2016

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Auf der Grundlage der Dokumentation und Analyse von Redepraktiken, mit denen in zwei Sprachgemeinschaften des Kameruner Graslands (Isu, Men) kulturelle Werte konstruiert und soziale Identitäten ausgehandelt werden, liefert das Projekt Ergebnisse, die vor allem für die Afrikalinguistik, die linguistische Pragmatik und die Ethnologie relevant sind. Zum einen wird exemplarisch das Wortfeld der Kommunikation beider Testsprachen erschlossen und damit erstmalig ein Überblick über kulturell relevante Sprechaktkonzepte und ihre Lexikalisierung geschaffen. Eine höherauflösende semantische und pragmalinguistische Studie von Sprechakten im Übergangsbereich zwischen Bitten und Klagen legt zum zweiten Bezüge zwischen Sprachstruktur, Kommunikation und kulturellen Normen offen und gibt hierdurch Impulse für eine Modifikation anglozentrisch dominierter Konzeptualisierungen von direkter und indirekter Kommunikation, Implikaturen, Konversationsmaximen und Höflichkeit. Methodologisch erprobt das Projekt mit Erfolg die Tauglichkeit der Natürlichen Semantischen Metasprache für die Definition von Sprechaktkonzepten. Sprechakte des Klagens und des Entschuldigens involvieren die in Westafrika weit verbreitete Praxis der Mediation, d.h. Adressaten (von Klagen) bzw. Adressierende (von Entschuldigungen) sind nicht per se identisch mit den Verursachern des beklagten Missstands bzw. des auszugleichenden Fehltritts. Der Mediation zugrunde liegt die Strategie der Übertragung des korrigierenden Akts an zuständige Autoritäten. Sie dient dazu, das Konfliktpotential harmoniebedrohender Sprechakte durch Einbeziehung einer neutralen Partei zu entschärfen und gleichzeitig die Chancen des Gelingens durch die Autorität des Vermittlers zu erhöhen. Entsprechend erfolgt die Selektion der Mediatoren entlang einer Hierarchie von Zuständigkeiten, die mit Verantwortung und Handlungsmacht verknüpft und über Parameter wie Amt und Seniorität definierbar sind. Entgegen vormaligen Vermutungen scheint die erfolgreiche Ausführung von Sprechakten des Bittens und Klagens weit weniger durch negative Höflichkeit motiviert als vielmehr durch eine positive, d.h. das Bestreben, durch Inszenierung der beschränkten eigenen Handlungsfähigkeit den Adressaten als Einflussreicheren aufzuwerten. Aufgrund der kulturellen Norm der Verpflichtung der Mächtigeren zur Versorgung und Hilfe der Machtloseren ihres Einflussbereichs funktionieren daher sowohl Implikaturen als auch performativen Konstruktionen als eine Erinnerung des Statushöheren an seine Verantwortung und Zuständigkeit und als Appell an seine Kooperation. Diese Erinnerung wird dabei nicht als Eingriff in seine individuelle Selbstbestimmung empfunden, sondern als positive Höflichkeit, die seine Position als Mächtigen bestätigt und stärkt. Strategien der Verschärfung der illokutionären Kraft von Bitten und Klagen werden daher auch nicht als gesichtsbedrohend empfunden. Insgesamt wird hier eine Konzeption von Höflichkeit offenbar, die weniger auf die Minimierung des Eingriffs in individuelle Handlungsspielräume gerichtet ist als vielmehr auf die Maximierung von Ansehen und Respekt vor dem sozialen Rang bzw. dem gesellschaftlichen Amt und der mit ihm verknüpften Handlungsmacht. Deutungen dieser Art münden direkt in eine Kritik am aktuellen Diskurs über den Gegensatz von individuellem Gesicht vs. Gruppenansehen, die als Triebfedern für Höflichkeitsphänomene in euro-amerikanischen Gesellschaften einerseits und afrikanischen Gesellschaften andererseits verantwortlich gemacht werden. Auf der Grundlage bisheriger Erkenntnisse in diesem Projekt wäre der Gegensatz dadurch zu überwinden, dass in den Kommunikationskulturen des Kameruner Graslands das individuelle Gesicht dem Gefüge von Rechten und Versorgungsverpflichtungen bzw. Zuständigkeiten untergeordnet ist, über das Respekt und Ansehen innerhalb einer traditionellen hierarchischen Ordnung erworben werden.

 
 

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