Grenzüberschreitendes Waldsterben - Debatten über das "Waldsterben" in Frankreich und der DDR im Spannungsfeld von Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit. Moderne Umweltpolitik in vergleichender europäischer Perspektive
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Waldschäden und Luftverschmutzung waren immer wieder Schlüsselelemente von Umweltdebatten in europaischen Ländern. Ausgehend von der intensiven und teils emotionalen Debatte über das „Waldsterben" in der Bundesrepublik der 1980er Jahre weitete das vorliegende Projekt den Blick auf die Nachbarländer Frankreich und DDR aus, um die spezifischen Bedingungen solcher Umweltdebatten besser zu erfassen. Gegenüber dem Forschungsstand haben die Bearbeiter der Teilprojekte ihre Untersuchung auf eine breite Quellenbasis gestützt und eine größere Zahl verschiedener Akteure berücksichtigt. Diese Ausgangsfragestellung wurde im Forschungsprojekt in zwei Teilstudien mit jeweils spezifischen Fragen und Zielen untersucht. Teilstudie 1 hatte dabei die Debatte über die „pluies acides" (Saurer Regen) in Frankreich zwischen Ende der 1970er Jahre und Ende der 1980er Jahre zum Gegenstand. Die bundesdeutsche Debatte war Ausgangsbasis und ständiger Bezugspunkt der französischen Ver- und Behandlung der Waldschäden, die Mitte 1983 zuerst in den Vogesen entdeckt wurden. Umweltschützer, Experten und Politiker betteten das „neue" Umweltproblem in die bestehenden Debatten über französische Luftreinhaltung ein. Im Rahmen der europäischen Zusammenarbeit setzte die Bundesregierung die großräumige Luftverschmutzung, die als Ursache der Waldschäden galt, auf die Agenda. Die Europäische Gemeinschaft beschloss in der Folge nach jahrelangen Verhandlungen weitreichende Gegenmaßnahmen in Form von strengen Emissionsgrenzwerten für Großfeuerungsanlagen und der Einführung von Katalysator und bleifreiem Benzin, die im Wesentlichen von deutsch-französischen Kompromissen abhingen. Über die europäische Zusammenarbeit erreichten die Bundesrepublik und Frankreich wesentliche Fortschritte in der Umweltpolitik hinsichtlich der Konzepte (Vorsorge), deutlich verschärften Grenzwerten und dem Einsatz der besten verfügbaren Technik. Trotzdem führten Pfadabhängigkeiten in der Energiepolitik (v.a. der Ausbau der Atomenergie) und die schwierige wirtschaftliche Lage zu einer spezifischen Auseinandersetzung mit diesem Umweltproblem. Am Beispiel der Debatte über großräumige Luftverschmutzung lässt sich zeigen, wie Umweltpolitik in den 1980er Jahren in Frankreich und in der EG an wirtschaftlicher und politischer Bedeutung zunahm, und das über den Kreis der Experten hinaus. Teilstudie 2 weitete den Untersuchungszeitraum über die 1980er Jahre hinaus auf die gesamte Bestehenszeit der DDR aus und leistet damit einen wesentlichen Beitrag zur Umweltgeschichte der DDR. In der Auseinandersetzung mit den Folgen von Luftverunreinigung entwickelten Wissenschaftler innovative Ansätze hinsichtlich der Diagnose von immissionsbedingten Waldschäden und Möglichkeiten zu deren Verhinderung. Obwohl es ihnen gelang, ihre Anliegen staatlichen Stellen und teilweise auch der Öffentlichkeit zu vermitteln, erschwerte die grundlegende Ausrichtung der Wirtschaftspolitik zunehmend die Umsetzung effektiver Maßnahmen. Mit dem Amtsantritt Honeckers 1971 gerieten Umweltschutzinvestitionen und schuldenfinanzierter Konsum in einen Zielkonflikt, der den Spielraum für erstere stetig verengte. An diesem Umstand konnte auch die verstärkte internationale Zusammenarbeit im Zeichen grenzüberschreitender Luftverschmutzung kaum etwas ändern. Die Energieversorgung der DDR hing in einem zu großem Maße von der heimischen Braunkohle ab, als dass das SED-Regime hier zu größerer Flexibilität überhaupt in der Lage gewesen wäre. Die wenigen Umweltgruppen, die gegen die mit der Braunkohleverstromung verbundene Umwelt- und Landschaftszerstörung protestierten, konnten zwar angesichts der westdeutschen Waldsterbensdebatte in den 1980er Jahren ihre Strukturen festigen, fanden aber erst dann einen gewissen gesellschaftlichen Widerhall, als sich das Scheitern des Konzepts der Wirtschafts- und Sozialpolitik abzeichnete. Insgesamt hat das Projekt Debatten über Luftverschmutzung in Frankreich und der DDR in umfassender Weise untersucht und die Bedingungen ihrer Thematisierung als gesellschaftlich relevante Probleme aufgezeigt.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- Umweltpolitik und Unsicherheit. Zum Zusammenspiel von Wissenschaft und Umweltpolitik in der Debatte um das Waldsterben der 1980er Jahre, in: Archiv für Sozialgeschichte 50 (2010), S. 217-269
Detten, Roderich V.
- Totgesagte leben länger. Der gefährdete Wald als Realereignis und Medienphänomen, in: Ursula Breymayer / Bernd Ulrich (Hrsg.): Unter Bäumen. Die Deutschen und der Wald, Dresden 2011, S. 256-263
Brüggemeier, Franz-Josef
- Le „Waldsterben". Convergences et divergences franco-allemandes face à un problème éeologique, In: Mathieu Osmont et al. (Hrsg.): Europeanisation in the 20th Century. The Historical Lense, Deutsches Historisches Institut, Paris; Peter Lang Verlag, 2012 (Euroclio, 69), S. 160-184
Schmit, Laurent
- Das Waldsterben. Rückblick auf einen Ausnahmezustand, München 2013
Detten, Roderich V. (Hrsg.)
- Les «pluies acides»: une controverse des années 1980, in: Charles-François Mathis / Jean-François Mouhot (Hrsg.), Une protection de la nature et de l'environnement à la française? (XlXe-XXe siècles), Seyssel, 2013, S. 131-140
Schmit, Laurent
- Ökologische Modernisierung. Zur Geschichte und Gegenwart eines Konzepts in Umweltpolitik und Sozialwissenschaften. Frankfurt/Main - New York 2014
Bemmann, Martin / Metzger, Birgit / Detten, Roderich V. (Hrsg.)
- Über die Umweltpolitik der DDR. Konzepte, Strukturen, Versagen, in: Geschichte und Gesellschaft 40 (2014), H. 4, S. 523-554
Huff, Tobias
(Siehe online unter https://doi.org/10.13109/gege.2014.40.4.523) - Natur und Industrie im Sozialismus. Eine Umweltgeschichte der DDR (Umwelt und Gesellschaft, Bd. 13), Göttingen 2015. Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 2012 u.d.T.: Huff, Tobias: Hinter vorgehaltener Hand - Debatten über Wald und Umwelt in der DDR
Huff, Tobias