Strukturen und Legitimationsvoraussetzungen strafrechtlicher Normbildungsprozesse außerhalb des Nationalstaats
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Im Rahmen der Untersuchung wurden strafrechtliche Normbildungsprozesse in internationalen Organisationen systematisiert und die Legitimationsbedingungen eines entstehenden überstaatlichen Strafrechts bestimmt. Dazu wurden die strafrechtlichen Aktivitäten der Vereinten Nationen, des Europarats, der Europäischen Union und der OECD als den gegenwärtig wichtigsten und strukturell markantesten Organisationen durchleuchtet, womit erstmalig eine umfassende strukturierte Darstellung dieser strafrechtlichen Normbildungsprozesse erfolgte. Bestätigt hat sich dabei die anfängliche Einschätzung, dass Strafvorschriften heute in vielfältiger Weise jenseits der nationalstaatlichen Ebene entstehen und ihre Alltagsrelevanz diejenige des Völkerstrafrechts deutlich übersteigt. Überraschend war insofern jedoch, dass nicht nur die theoretische Erfassung des gewählten Untersuchungsgegenstandes, wie erwartet, äußerst defizitär war, sondern auch die theoretische Fundierung des Völkerstrafrechts selbst. Auch strafrechtliche Grundlagenfragen wie das Wesen von Kriminalstrafe und der Ursprung des Rechts zu Strafen bzw. staatlicher Kriminalhoheit erwiesen sich als – von Wissenschaft und Praxis – sehr stiefmütterlich behandelt. Auf der Grundlage der Darstellung der einzelnen Organisationen konnte erstmals ein umfassender Vergleich der verwendeten Regelungsstrukturen und materiellen Finalitäten durchgeführt werden, der tiefer gehende Aussagen über die Eigenarten, Beweggründe auch im Organisationsvergleich gestattet und damit deutlicher als zuvor den Gegenstand der Legitimitätsprüfung strukturiert und präzisiert. Bei der Ausarbeitung der Legitimationsprinzipien hat sich gezeigt, dass die Mehrzahl der im Strafrecht gehandelten Kriterien den Kern der Problematik einer Strafrechtsetzung jenseits des Nationalstaats entweder nicht genau erfasst oder über kein nennenswertes kritisches Kontrollpotenzial verfügt. Andererseits hat sich das gegenwärtige Nebeneinander der Fachdiskussionen in Völkerrecht, Strafrecht und Verfassungstheorie als überwindbar erwiesen. Es ließen sich gemeinsame Schnittpunkte in der Begründung von Kriminalhoheit in politischen Systemen und deren demokratisch selbstbestimmter Ausübung freilegen, die eine wechselseitig befruchtende Zusammenführung der Diskurse eröffnet. Nach Maßgabe des ausgearbeiteten Legitimationsprogramms konnten die identifizierten Regelungsstrukturen sodann auf ihre Legitimität hin geprüft und abschließend Entwicklungspotentiale und Reformbedarf innerhalb der einzelnen Organisationen als Voraussetzung für eine verständige übernationale Kriminalpolitik erörtert werden. Bei trennscharfer Ausarbeitung der Regelungsstrukturen könnte dieses Legitimationsprogramm auch auf alle künftigen strafrechtlichen Normbildungsvorhaben angewandt werden und Aufschluss über deren Legitimierbarkeit schaffen.