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Kontroversen über Gewalt und gesellschaftlichen Wandel. Der Protestantismus und die politisch motivierte Gewaltanwendung in den 1960er und 70er Jahren

Fachliche Zuordnung Evangelische Theologie
Förderung Förderung von 2008 bis 2010
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 56604090
 
Erstellungsjahr 2011

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Das kultur- und kirchengeschichtlich angelegte Projekt untersucht die gesellschaftliche und kirchlich-theologische Bedeutung und Funktion der „Gewaltfrage“ im deutschen Protestantismus der 1960er und 1970er Jahre. Bei der Analyse der Debatten über die Legitimität eines gewaltsamen gesellschaftlichen Wandels wurden zwei Entwicklungstendenzen deutlich, die den westdeutschen Protestantismus und seine öffentlichen Wahrnehmung in diesen Jahren entscheidend prägten: seine Politisierung und seine Polarisierung. In beiden verschränkten sich innerkirchliche und gesellschaftliche Entwicklungen miteinander. Vor dem Hintergrund semantischer Grenzverschiebungen zwischen Politik und Religion kam es im westdeutschen Protestantismus der 1960er und 70er Jahre zu einer moralischen Aufladung von Politik. Die „Gewaltfrage“ erwies sich dabei als die offene Flanke einer Politisierung von Religion und einer Moralisierung des Politischen. Der Schlagabtausch erfolgte in (kirchen)politischen, sozialethischen und geschichtspolitischen bzw. -theologischen Kontroversen. Das zentrale historische Bezugsfeld bildete der christliche Widerstand gegen den Nationalsozialismus. In den Kontroversen offenbarten sich sowohl inter- als auch innergenerationelle Gegensätze, während die religiösen und politischen Konfliktlinien deckungsgleich verliefen. Im theologisch-kirchlichen Diskurs war die offene Legitimierung interpersoneller, gar tötender Gewalt kaum anzutreffen. Während der Studentenunruhen und in der Terrorismusdebatte verstand sich der „Linksprotestantismus“ selbst als das kritische Gewissen der Neuen Linken. Die „Gegen“- bzw. „Änderungsgewalt“ in der Dritten Welt wurde dagegen für notwendig und sinnvoll erachtet. Im „christlich-marxistischen Dialog“ war Gewalt nicht die „Gretchenfrage“. Das öffentliche Erscheinungsbild der evangelischen Kirchen geriet durch die Kontroversen stark in Mitleidenschaft. Im „Sympathisanten“-Diskurs richtete sich gegen sie der Pauschalvorwurf einer protestantischen Mitverantwortung für terroristische Gewalt. Letztlich aber führten die Auseinandersetzungen den westdeutschen Mehrheitsprotestantismus enger an den freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat heran. Auch im ostdeutschen Protestantismus war die in ökumenisch-transnationalen Bezügen diskutierte Gewaltthematik eng verknüpft mit Kontroversen über eine Politisierung theologischer Standpunkte und Glaubensfragen sowie einer religiösen Aufladung von Politik, deren Achillesferse jedoch das Thema Menschenrechte war. Während sich EKD und BEK in der Gewaltfrage weitgehend einig waren, entwickelte sich diese im transnationalen Dialog zum Spaltpilz der ökumenischen Gemeinschaft. Längerfristig betrachtet, beförderten die Kontroversen ein stärkeres Bewusstsein für in gesellschaftliche Kontexte eingebettetes theologisches Denken und kirchliches Handeln.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • Gewalt und gesellschaftlicher Wandel. Protestantische Kontroversen über politische motivierte Gewaltanwendung in den 1960er und 1970er Jahren. In: Historisches Jahrbuch 128 (2008), 523–539
    Lepp, Claudia
  • Protestantismus und gesellschaftlicher Wandel. Die Entwicklungen in der Bundesrepublik Deutschland während der 1960er und 70er Jahre im Fokus der kirchlichen Zeitgeschichtsforschung. In: Pastoraltheologie 98 (2009), 507– 512
    Lepp, Claudia
  • Der „Linksprotestantismus“ und die evangelischen Kirchen in den 1960er und 1970er Jahren. In: Baumann, Cordia / Gehrig, Sebastian / Büchse, Nicolas (Hg.): Linksalternative Milieus und Neue Soziale Bewegungen. Außerparlamentarischer Protest und mediale Inszenierung in den 1970er Jahren in der Bundesrepublik und Westeuropa (Akademie-Konferenzen 5). Heidelberg 2011, 211–236
    Widmann, Alexander Christian
  • Vom Gespräch zur Aktion? Der „christlichmarxistische Dialog“ und die Politisierung des Protestantismus in den 1960er und 70er Jahren. In: Klaus Fitschen / Siegfried Hermle / Katharina Kunter / Claudia Lepp / Antje Roggenkamp-Kaufmann (Hg.): Die Politisierung des Protestantismus in der Bundesrepublik während der 1960er und 70er Jahre (AKiZ B 52). Göttingen 2011, 121–149
    Widmann, Alexander Christian
 
 

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