Funktions-, ressourcen- und kostenorientierte Toleranzallokation komplexer Baugruppen unter Berücksichtigung der Risiken in den frühen Phasen der Produktentstehung
Zusammenfassung der Projektergebnisse
2.1. Ergebnisse In dem Forschungsprojekt SCHM 2133/1-1 ist die Methode CROTA (Cost- and Riskoriented Tolerance Allocation) zur Optimierung von Maßtoleranzketten sowie ihre prototypische ITUmsetzung entwickelt worden. CROTA unterstützt die Konstruktion, eine ressourcen-, kosten-, und risikoorientierte Toleranzoptimierung hinsichtlich interagierender Toleranzketten auf Basis objektiver Eingangsdaten weitestgehend automatisiert durchzuführen und zu bewerten. Entscheidende Fortschritte bezogen auf den Stand der Wissenschaft zum Zeitpunkt der Antragstellung werden im Folgenden vier Modulen zugeordnet: - die geometrische Produktanalyse - die Technologie- und Kostenanalyse - die Optimierungsproblemmodellierung und der Optimierungsalgorithmus - die Ergebnisbewertung und Darstellung Für die Produktanalyse wurde ein Vorgehen und ein Algorithmus erarbeitet, welche ermöglichen, auch interagierende und dreidimensional im Produkt vorliegende Toleranzketten automatisiert zu identifizieren und in eine algorithmisierbare Darstellungsform zu konvertieren. Dazu werden alle Maße einer CAD-Zeichnung ausgelesen und mittels einer Produktstrukturmatrix und einer neu definierten Merkmalstrukturmatrix anhand bestimmter Regeln in mehrere miteinander verknüpfte Toleranzketten überführt. Die Verknüpfungen sind auf geometrische Interaktionen zurückzuführen, welche auftreten, wenn ein Merkmal in mehr als einer identifizierten Toleranzkette Berücksichtigung findet. Aus den verknüpften Toleranzketten (dem sogenannten Toleranznetz), mit Maßtoleranzen erster und zweiter Ordnung (das sind neu definiert Passungen und Toleranzketten mit mehr als zwei Merkmalen), wird ein Montagetoleranz-Gleichungssystem aufgestellt. Für die Technologie- und Kostenanalyse ist durch Einbindung von Datenbanken die Möglichkeit geschaffen worden, bisher subjektive Kostenschätzungen von Mitarbeitern durch objektive Eingangsdaten zur automatisierten Generierung von Toleranz- Kostenzusammenhängen und weiteren Prozessinformationen zu substituieren. Dazu wurden betriebliche Datenbanken wie BDE-Datenbanken, Betriebsmitteldatenbanken, Prüfmitteldatenbanken, Werkzeugbibliotheken etc. mittels XML-Schnittstelle und mathematischen Operationen (z.B. Newton Approximation) zugänglich und auswertbar gemacht. Die Information wird zu den im Stand der Wissenschaft beschriebenen kontinuierlichen Toleranz- Kostenrelationen je Merkmal aggregiert, welche sowohl für die Fertigung, als auch für die Prüfung erarbeitet werden. Sowohl eine im Unternehmen vorliegende Kostenstellen- als auch eine Kostenträgerrechnung unter Berücksichtigung der Gemeinkosten und qualitätsbezogenen Kosten sind verarbeitbar. Aus der Technologieanalyse resultieren außerdem technologische Interaktionen, bei denen zwei Merkmale eines Bauteils in unterschiedlichen Toleranzketten Berücksichtigung finden und daher nicht unabhängig voneinander optimiert werden können. Diese Interaktionen verknüpfen das Toleranznetz zusätzlich und gehen als weitere Restriktionen in den Optimierungsalgorithmus ein. Montagekostenrelationen in Abhängigkeit der Schließ-toleranzweite finden erstmals Berücksichtigung. Sie werden gemeinsam mit den Prüf- und Fertigungskosten aggregiert verrechnet. Die Optimierungsproblemmodellierung sowie der Optimierungsalgorithmus wurden den neuen Anforderungen interagierender, dreidimensionaler Maßketten angepasst, so dass optimale Toleranzallokationen für die zur Verfügung stehenden Eingangsdaten ermittelt werden. Ein speziell für die Toleranzoptimierung modifizierter Hamilton-Algorithmus kommt an dieser Stelle zur Anwendung. Bei der Ergebnisanalyse wurden deutliche wissenschaftliche Fortschritte in der Bewertung von Toleranzkostenrisiken erzielt. So kann jetzt das Risiko einer Zielkostenüberschreitung in Abhängigkeit der Wahl der Toleranzallokation und der Zielkostenhöhe mittels Unschärfefortpflanzungsberechnung (Gauss’sche Fehlerfortpflanzung) durch den Algorithmus hindurch ermittelt werden. Des Weiteren werden Aussagen über die Signifikanz und damit die Ergebnisgüte von Optimierungslösungen getroffen. Die zu den optimierten Toleranzen und Toleranzkosten zugehörigen Fertigungs- und Prüfmittel werden dem Anwender der Methode zur Unterstützung der Fertigungs- und Prüfplanung angezeigt. Abschließend wird der Zusammenhang von Zielkostenhöhe, Toleranzallokationsvarianten, Risiken sowie Ergebnissignifikanz nun erstmals als Entscheidungsgrundlage für Entscheider in Unternehmen aufbereitet dargestellt. Die prototypische IT-Tool-Implementierung der entwickelten Vorgehensweisen und Algorithmen wurde in der Programmiersprache C# realisiert. Das Tool wurde für die Anwendung mit CAD-Software entwickelt, welche STEP und Q-DAS Schnittstellen unterstützen, und ist zur Einbindung von XML bzw. XML-kompatiblen Datenbanken geeignet. Ergebnisse aus dem BMWF geförderten Projekt WEPROM und des laufenden Projektes ProNet "Lösungen und Werkzeuge für eine qualitätsgerechte Produktentwicklung" (BMBF\WTZ Programm), speziell für die Weiterentwicklung der automatisierten Prüfplanung, konnten genutzt werden. Da sich diese Projekte ergänzen, wurde die Ergebnisse aus WEPROM und ProNet in CROTA integriert. Die Tauglichkeit der Methode CROTA wurde an einfachen Anwendungsbeispielen mit Beispieldatensätzen aufgezeigt. Eine umfangreiche Implementierung in der Industrie steht noch aus. Eine verbleibende Problematik ist, dass ein Export von Merkmalsdaten, speziell Toleranzdaten, nach STEP von CAD-Softwareherstellern nicht angeboten wird und häufig auch nicht erwünscht ist. Die von der Firma Q-DAS entwickelte gleichnamige proprietäre Schnittstelle ermöglicht das Auslesen von Toleranzinformationen, welche mit den STEP-Daten verknüpft werden können, führt jedoch des Öfteren zu Übersetzungsfehlern. 2.2. Ausblick Insbesondere in der Erweiterung auf Form- und Lagetoleranzen sowie auf die Kosten- Nutzen-Bewertung von Änderungen während des Produktentstehungsprozesses weist die Methode CROTA erhebliche Entwicklungspotenziale auf. Ein möglicher Forschungsansatz hinsichtlich Änderungskosten wird in Kapitel 3.4 skizziert. Des Weiteren eröffnen die Projektergebnisse Potenziale zur Verknüpfung mit Methoden zur automatischen Generierung von Prüfplänen entsprechend der IDENT-Systematik des Lehrstuhls. Ein Ansatz wurde durch die Integration der IPIM Systematik in die Methode CROTA bereits begonnen. Weiteres Ziel ist auch eine Integration von CROTA in industrielle CAQSysteme. Längerfristig eröffnen die Prinzipien der Methode eine Übertragbarkeit auf andere Bereiche der technischen Wissenschaft, wie z.B. der Optimierung von Prozesstoleranzen. Die zukünftigen Anwendungsmöglichkeiten der Forschungsergebnisse liegen vor allem in einer unmittelbaren industriellen Applikation von CROTA, für welche die Methode und die Unternehmensprozesse aufeinander abgestimmt werden müssen (ggf. auch in einem industrienahen Forschungsprojekt). CROTA wird in diesen Unternehmen auf einzelnen CADRechnern installiert und unter Zugriff auf relevante Datenbanken in einer frühen Produktentwicklungsphase als Entscheidungsunterstützung und Optimierungswerkzeug in einem Simultaneous Engineering-Team angewendet. Einige Unternehmen bekundeten großes Interesse an den Forschungsergebnissen und der erarbeiteten Methode CROTA: Variation Systems Analysis (Michael Kellers), tolerance & me (Roland Leuschel), Daimler AG (Yassir Abu Marahiel), Witte Automotive (Frank Masuch), Heidelberger Druck (Henning Niggemann), Post NL (Jaap Kramer) und weitere.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- Schmitt, R., Behrens, C.: A Statistical Method for analyses of Cost- and Riskoptimal Tolerance Allocations based on Assured Input Data; In: 10th CIRP Conference on Computer Aided Tolerancing, Specification and Verification for Assemblies - March 21st - 23rd, 2007 in Erlangen, Germany, Shaker, ISBN 978-3-8322-6036-1, 2007.K3049
- Schmitt, R., Behrens, C.: Intoleranz gegen suboptimale Maßtoleranzen - Kostenund risikooptimal tolerieren; In: Excellence in Production - Fertigungsmesstechnik und Qualitätsmanagement, Alpha Informationsgesellschaft, S. 79-81, 2008.
- Schmitt, R., Behrens, C.: Weniger Kosten tolerieren durch optimale Toleranzverteilung; In: Konstruktion, Jg. 60, Springer, S. 72-74 (in der erweiterten Ausgabe), 2008.