Lokale Austauschnetzwerke. Entstehung, Stabilisierung und sozialstaatliche Bedeutung
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Zweifelsohne handelt es sich bei den deutschen Tauschringen lediglich um ein gesellschaftliches Randphänomen. Doch weisen die Tauschringe trotz ihrer geringen Reichweite in die Zukunft, da es privaten Haushalten im sich wandelnden Sozialstaat eine zusätzliche Versorgungsoption bietet. So können im Rahmen dieser Nebenökonomie die Selbsthilfekapazitäten der Teilnehmer gestärkt, Größenvorteile genutzt und zumindest in geringem Umfang Einkommen jenseits der herkömmlichen Erwerbsarbeft erschlossen werden. Gerade in Zeiten dauerhaft hoher Arbeitslosigkeit, in der altemafive Konzepte zur Existenzsichemng jenseits der staatlichen Unterstützungsleistungen immer wichtiger werden, sollte dieses Konzept an Bedeutung gewinnen. Das Forschungsprojekt leistet hierbei einen wertvollen Beitrag, indem es systemafisch die Ursachen der Entstehung und Verbreitung sowie die Mechanismen der Stabilisiemng der Systeme herausarbeitet und eine gesellschaftspolftische Einordnung der Zusammenschlüsse vornimmt. Es konnte gezeigt werden, dass ihre Entstehung in Deutschland weniger auf die ökonomische Lage als vielmehr auf ideologische Beweggründe und Motive der Gesellung zurückzuführen ist. Die Systeme verstehen sich als kapitalismuskritische Bewegung. Sie wollen auf aktuelle gesellschaftliche Fehlentwicklungen öffenflich aufmerksam machen und diese auf lokaler Ebene überwinden - wenigstens aber mildern. Zumindest im regionalen Format streben sie eine sozial gerechtere Welt an und wollen diese Zielsetzungen innerhalb ihrer eigenen altemativen Wirtschaftskreisläufe verwirklichen (Caldwell 2000; Williams 1995). Diese ideologischen Zielsetzungen spiegeln sich auch aufder Individualebene wider. So konnte im Projektzusammenhang gezeigt werden, dass durch eine Beteiligung am Tauschring nicht so sehr prekäre Situationen am Arbeitsmarkt abgefedert werden, sondem soziale Bedürfhisse und ideologische Aspekte die Teilnahme dominieren. In bescheidenem Ausmaß zielen die deutschen Tauschringe momentan zwar auf Marktergänzung, vorrangig sind sie jedoch Orte der Gesellung und der Pflege von ideologischen Orientiemngen. Eng mit den Untersuchungen zu ihrer Entstehung ist die Frage nach ihrem Fortbestand verwoben. Es wurde deutlich, dass wesenfliche Konzepte der Organisafionsforschung bei der Population der Tauschringe keine Bestäfigung finden, was möglicherweise auf Datenprobleme zurückzuführen ist. Dennoch konnte das Projekt zeigen, dass eine wesenfiiche Ursache für das Scheitern der Systeme in einer nachlassenden Akfivität der Teilnehmer liegt. Offenbar gelingt es den Tauschringen nicht, ihre Teilnehmer langfrisfig zu Beiträgen zu motivieren und an sich zu binden. Nach anfänglicher Euphorie schwindet bei den Teilnehmern die Begeisterung und die Systeme "schlafen" allmählich wieder ein. Bei der Untersuchung des Transaktionsmanagements der Teilnehmer wird deuthch, dass bei der Absicherung der Tauschgeschäfte in diesen marktfemen und "rechtsfreien" Systemen die soziale Strukturen von großer Bedeutung sind. Vor allem dem "Schatten der Vergangenheft" kommt bei der Stabilisierung der Tauschgeschäfte große Bedeutung zu - einige Strukturparameter führten dagegen zu unerwarteten und nur schwer interpretierbaren Ergebnissen. Die abschließende gesellschaftspolitische Betrachtung der Systeme zeigt auf, dass die Systeme nur um den Preis einer höheren Bürokrafie in die offizielle Sozialpolifik eingebunden werden können - diese Versuche jedoch ihre Legifimafion unterlaufen und ihre ideologische Basis aushöhlen würden. Das Projekt hat - nach unserer Sicht - durch seine Arbeiten die Datengrundlage für weitere Forschungen geschaffen und selbst zentrale Ergebnisse erbracht. So konnten im Rahmen dieser kleinen, in sich geschlossenen Wirtschaftssysteme, welche ähnlichen ökonomischen Gesetzmäßigkeiten wie der formale Markt gehorchen, vielfäftige Probleme des sozialen Miteinanders im kleinen Rahmen untersucht werden und so ein wesentlicher Beitrag zur Wirtschaftssoziologie geleistet werden.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- Hinz, Thomas/Wagner, Simone (2006) Gib und Nimm. Lokale Austauschnetzwerke zwischen sozialer Bewegung und Marktergänzung. Soziale Welt 57: 65-82.
- Hinz, Thomas/Wagner, Simone (2008) Simone DifTusion ofa Social Movement - The Example ofthe German Local Exchange Systems. Paper presented at the 102nd Annual Meeting of the American Sociological Association 2007, Section: Rational Choice. New York (wird eingereicht in der deutschen Fassung bei KZßS).
- Hinz, Thomas/Wagner, Simone (2008)Transactions in a world without monetary Incentives: Social Embeddedness in Local Exchange Systems. Paper presented at the 101*' Annual Meeting of the American Sociological Association 2006. Section: Rationality and Society. Montreal