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Benjamin Franklins Philadelphia Academy und das Dessauer Philanthropin. Zwei Modelle eines überkonfessionellen Unterrichts (1749-1793)

Fachliche Zuordnung Allgemeine und Historische Erziehungswissenschaft
Förderung Förderung von 2004 bis 2010
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 5440563
 
Erstellungsjahr 2009

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Im Mittelpunkt des Forschungsvorhabens stand der auf der Grundlage eines umfangreichen Quellenmaterials geleistete Vergleich der von Benjamin Franklin gegründeten Philadelphia Academy (1749-1779) mit dem Dessauer Philanthropin (1774-1793), zweier Musterschulen des Zeitalters der Aufklärung mit weilreichender internationaler Ausstrahlung, die erstmals in Amerika und Europa eine konsequente schulische Erziehung zur religiösen Toleranz durchführten. Ein wesentliches Ziel dieses Projektes war dabei die gründliche Erforschung und Interpretation der bislang von der historischen Bildungsforschung übersehenen transatlantischen Dimension des Philanthropismus, seiner europäischen und amerikanischen Besonderheiten und seiner jeweiligen religionspädagogischen Spielarten und Eigentümlichkeiten. Im Gegensatz zu den geläufigsten Thesen der bisherigen Philanthropismusforschung ist dabei erkennbar geworden, daß sich bereits die erste Generation der deutschen Philanthropen um J.B. Basedow bei der Grundlegung ihrer Pädagogik seit Ende der 1750er Jahre ganz entscheidend von der pennsylvanischen Verfassungswirklichkeit und der in Philadelphia gelebten religiösen Toleranz anregen ließen. Seit den 1770er Jahren suchten die Lehrer des Dessauer Philanthropins dann sogar den gezielten Kontakt zu B. Franklin, da sie diesen herausragenden Wissenschaftler, Politiker und Gründer der Philadelphia Academy als gleichgesinnten Pädagogen und entschlossenen Wegbereiter ihrer eigenen Erziehungsideale zutiefst bewunderten und schätzten. Auch für die zweite, vor allem von Chr. G. Salzmann und J. Chr. Schmohl repräsentierte Generation der deutschen Philanthropen blieb Franklins Philadelphia Academy bis in die 1790er Jahre hinein ein wichtiges schulisches Vorbild. Andererseits und umgekehrt ließ sich aber auch Franklin von den verschiedenen Zweigen der deutschen Aufklärungspädagogik inspirieren, orientierte sich in den frühen 1750er Jahren zunächst an Lehrplan und Aufbau der Universität Halle, in den 1760er Jahren an der hochmodernen Organisation der Universität Göttingen, die er 1766 auch selbst besuchte. Hier knüpfte er auch persönliche Kontakte zu führenden deutschen Aufklärern und Philanthropen, die bis zu seinem Tod im Jahr 1790 Bestand hatten. Ganz eindeutig führte demnach ein in beide Richtungen über den Atlantik verlaufender pädagogischer Ideenverkehr zur Herausbildung jener transnationalen philanthropischen Ideen- und Wertegemeinschaft, deren Energie und Motivationskraft letztlich sowohl die Gründung der Philadelphia Academy als auch die Errichtung des Dessauer Philanthropins erst möglich gemacht haben. Ein wichtiges Ergebnis der Projektarbeit ist zudem die Einsicht, daß Basedow und Franklin bei der Umsetzung ihrer pädagogischen Programme in ihrem jeweiligen gesellschaftlichen Umfeld gegen ganz ähnliche politische und kirchliche Widerstände ankämpfen mußten. Während sich Basedow in den 1760er Jahren in Dänemark und Hamburg mit der lutherischorthodoxen Geistlichkeit stritt, die seil der Reformationszeit die Oberaufsicht über das Schulwesen dieser Länder innehatte und als entschiedener Gegner aller liberalen pädagogischen Reformpläne auftrat, mußte sich Franklin zur selben Zeit gegen den Widerstand des pennsylvanischen Kolonieeigentümers Thomas Perm durchsetzen, der mit Hilfe des von ihm geförderten Rektors der Philadelphia Academy, Reverend William Smith, die dortige religiöse Unterweisung statt in überkonfessionellem in dogmatisch-anglikanischem Geist durchgeführt wissen wollte. Allerdings bleibt festzuhalten, daß die liberale Verfassung der pennsylvanischen Bürgergesellschaft Franklin in diesem Kampf eindeutig begünstigte, während Basedow letztlich nur deswegen reüssieren konnte, weil ihm der freisinnige Fürst Leopold IIL Friedrich Franz zu Anhalt-Dessau pädagogische Freiheilen gewährte, die anderswo in Europa kaum gegeben waren. Weiterhin sind durch die genaue Analyse vieler von der historischen Bildungsforschung übersehenen Quellen zur jeweiligen Unterrichtswirklichkeit an der Philadelphia Academy und am Dessauer Philanthropin nicht nur etliche unbekannte Facetten hinsichtlich der Zusammensetzung der dortigen Lehrer- und Schülerschaften sowie des allgemeinen Lehrplans ans Licht gekommen, sondern auch völlig neue Erkenntnisse bezüglich der in Philadelphia und Dessau vorgenommenen religiösen Unterweisung. Denn es wurde ersichtlich, daß in Pennsylvania und Anhalt-Dessau ganz zweifelsohne unterschiedliche religionspädagogische Modelle zum Zuge kamen. So sorgte Franklin dafür, daß an der Philadelphia Academy ein prinzipielles Pluralismusmodell befolgt wurde, wonach in der Schule weder ein regelrechter Religionsunterricht noch ein religiöser Ersatzunterricht vorgenommen wurde, doch in äußerst kurzen zivilreligiösen Zeremonien der allen Konfessionen gemeinsame Glaube an einen transzendenten Gott wachgehalten wurde. Am Dessauer Philanthropin setzte hingegen ein wertevermittelndes Orientierungsmodell den Maßstab für den überkonfessionellen Religionsunterricht, in welchem auf der Grundlage der natürlichen Theologie ein religiös-sittlicher Universalkonsens vermittelte wurde. Eine dezidiert aufklärerische Erziehung zur religiösen Toleranz, so lehrt dieser Befund, konnte und kann also eine durchaus unterschiedlich akzentuierte Ausprägung haben, selbst wenn sie aus dem gleichen philanthropischen Geist heraus gelehrt wurde und wird.

 
 

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