Größeneinflüsse auf das Werkstoffverhalten bei der Hartzerspanung
Final Report Abstract
Das Projekt befasste sich im Verbund mit dem IFW Hannover mit der Skalierung von relevanten Prozesseingangsgrößen und deren Einfluss auf die Spanbildung und die Randzonenausprägung bei der Hartzerspanung. Die betrachteten Prozesseingangsgrößen sind die Geometrie der Schneidkante am Werkzeug, die Schnittbedingungen sowie die Materialeigenschaften des Werkstücks. Die Zielstellungen des Berichterstatters in dem Verbundprojekt betrafen im Wesentlichen: die Ermittlung und Verifizierung von Materialgleichungen für den Werkstoff 100Cr6 sowie den Referenzwerkstoff C45E des Schwerpunktprogramms als Grundlage der FESimulation des IFW Hannover und die Aufklärung des Umschlags des Spanbildungsmechanismus (von Fließ- zu Segmentspanbildung) als relevantem Größeneffekt beim Hartzerspanen, sowie dessen Einfluss auf die Randzoneneigenschaften. Die Ermittlung konstitutiver Materialgleichungen erfolgte durch mechanische Beanspruchung der Materialien mittels einer geeignet modifizierten Split-Hopkinson-Pressure-Bar (SHPB) Anordnung (Hochgeschwindigkeitsbelastung) unter Verwendung speziell entwickelter Probentypen, die eine plastische Deformation des Hartwerkstoffes 100Cr6 überhaupt erst ermöglichen, unter gleichzeitiger Erfassung des zeitabhängigen mechanischen Antwortverhaltens sowie anschließende FE-Experimentsimulation. Die Beanspruchung erfolgt in einem Geschwindigkeitsbereich, der auch in der primären Scherzone beim Spanen relevant ist. Die SHPB-Anordnung wurde in modifizierter Form auch für Zerspanexperimente eingesetzt. Wahlweise adaptierbare modulare Messanordnungen erlauben darüber hinaus die parallele Aufzeichnung weiterer transienter Signale (u.a. Wärmestrahlung, lokale Probenverschiebungen). Hervorzuheben ist die entwickelte high-speed Infrarotmesstechnik, die eine in situ Ermittlung des Temperaturfeldes an der Probenoberfläche mit einer Zeitauflösung von <1 μs und einer Ortsauflösung von 5... 12 μm (abhängig vom eingesetzten Detektormaterial der Sensorzeilen) gestattet. Die mit dieser Technik erreichten Parameter übertreffen in Kombination mit der variablen Anordnung der Probe den intentionalen Stand deutlich. Für die Analyse des Ablaufs von spanungstypischen Verformungslokalisierungen und des Spanbildungsprozess selbst kamen u. a. die Hochgeschwindigkeitskinematographie (100 Einzelbilder, Zeitauflösung 1 μs, Ortsauflösung 3 μm) unter Verwendung einer speziell entwickelten Beleuchtungstechnik und Laser-Doppler-Vibrometer Messtechnik zum Einsatz. Die Probenmikrostruktur wurde mittels SEM, TEM und lichtmikroskopisch untersucht. Durch Entwicklung eines auf der Analyse von Einzelkornstreckung und -drehung basierenden Verfahrens konnten im mehrphasigen Referenzwerkstoff C45E u. a. Verformungsverteilungen im Spanwurzelbereich und in Spansegmenten quantifiziert werden. Für den martensitischen Hartwerkstoff 100Cr6 liefern nach geeigneter Präparation die Fourieranalyse der Grauwertverteilung Hinweise auf die lokale Verformung, speziell in der Randzone. Damit wurde insgesamt ein außerordentlich umfangreiches Datenmaterial für die detaillierte Überprüfung der Qualität der FE-Simulationen des Zerspanvorganges des Verbundpartners IFW Hannover erhalten. Bei der Bearbeitung wurde deutlich, dass die zunächst zugrundegelegte Materialmodellierung nach Johnson/Cook wesentliche Details des dynamischen Materialverhaltens nicht erfasst. Es handelt sich hierbei um ein grundsätzliches Problem der Werkstoffmodellierung unter dynamischen Beanspruchungsbedingungen, das damit verbunden ist, dass viskoplastische Materialansätze Streckgrenzeneffekte (dynamische Streckgrenzenüberhöhungen und Fließverzögerung) derzeit grundsätzlich nicht berücksichtigen. Die o.g. Phänomene wurden auf der Basis eines verallgemeinerten Materialmodells beschrieben werden, das von versetzungstheoretischen Vorstellungen und empirischen Zusammenhängen ausgeht und sich asymptotisch einem Johnson/Cook-Modell nähert. Dieses hier als „Delayed Yielding" Modell bezeichnete Materialmodell wurde zunächst unter einachsiger Beanspruchung für die Werkstoffe lOOCr6 und C45E numerisch getestet und in vereinfachter Form in die FE-Simulation von Verformungsexperimenten implementiert. Auf diese Weise konnte eine sehr gute Übereinstimmung des experimentell ermittelten und des simulierten Antwortverhaltens für die quasihomogenen Verformungsexperimente erreicht werden. Wesentlicher Aspekt dieses Modells ist die explizite Berücksichtigung einer dynamischen Streckgrenzenüberhöhung, was offenbar von genereller Bedeutung für hochdynamisches Werkstoffverhalten ist und den Spanprozess wesentlich beeinflussen kann. Die Bildung von Spänen geht mit ausgeprägter Verformungslokalisierung in. der primären Scherzone beim Fließspan und zusätzlicher Scherbandbildung beim Segmentspan einher. Die Lokalisierung basiert auf einer thermo-viskoplastischen Instabilität und führt zu einer moderaten Temperaturerhöhung von einigen 100 °C (aber deutlich unterhalb der Schmelztemperatur, für lOOCr6 ca. 500°C) in der Lokalisierungszone. Gleichzeitig konnte experimentell eindeutig nachgewiesen werden, dass mit fortschreitender Verformungslokalisierung Damageprozesse relevant werden, die schließlich zum Materialversagen längs der primären Scherzone führen. Durch FE-Simulationen von SHPB-Verformungsexperimenten mit geometrisch erzwungener Verformungslokalisierung (womit spanungsrelevante Beanspruchungsbedingungen modelliert werden) konnte gezeigt werden, dass sowohl die Berücksichtigung von „delayed yielding" als auch die von Damageprozessen in den Materialgleichungen erforderlich ist. Auf diese Weise wurde eine sehr gute Übereinstimmung von Experiment und Simulation erreicht, was das entwickelte komplexe Materialmodell für die Spansimulation qualifiziert. Die Parametersätze für den Hartwerkstoff 100Cr6 und den Referenzwerkstoff C45E wurden dem Verbundpartner fur dessen FE-Spansimulation zur Verfügung gestellt. Der Antragsteller hat herausgearbeitet, dass der prozessgrößenabhängige Wechsel des Spanbildungsmechanismus vom Fließspan zum Segmentspan ein Größeneffekt beim Zerspanen darstellt. Mit wachsender Spanungsdicke tritt ein Übergang vom Fließ- zum Segmentspan auf, der anhand des Segmentierungsgrades der Späne sowohl für 100Cr6 als auch für C45 nachgewiesen werden konnte. Im Gegensatz zu dem auf der Basis von Gradienten- Plastizitätstheorien diskutierten statischen Größeneffekt bei plastischer Verformung handelt es sich um einen dynamischen Größeneffekt, der sowohl von Geometrieparametern wie auch der Schnittgeschwindigkeit (und von Materialeigenschaften) gesteuert wird. Eine modellmäßige Beschreibung des Wechsel im Spanbildungsmechanismus, der mit seinen Auswirkungen auf die Randzone letztlich auch die Qualität des Werkstücks bestimmt, und die zur Prozessskalierung geeignet wäre, liegt in Form eines vereinfachten Modells des Berichterstatters vor. Das Modell, das Prozesseingangsgrößen und Materialparameter verknüpft, wurde durch eigene Zerspanexperimente sowie die des Verbundpartners IFW Hannover qualitativ bestätigt. Grundsätzlich sollte dieses Skalierungsmodell durch FE-Spanungssimulation quantitativ verbessert werden können, was mit dem derzeit beim Verbundpartner zu Verfügung stehenden FE-Programmsystem allerdings noch nicht realisierbar ist.
Publications
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