Jerusalemskirchen: Mittelalterliche Kleinarchitekturen nach dem Modell des Heiligen Grabes
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Die seit dem 5. Jahrhundert nachzuweisende Gewohnheit, Kopien des Heiligen Grabes anzulegen, erfährt während der Jahrhunderte der Kreuzzüge eine spürbare Belebung. Als persönliche Erinnerungs- oder Andachtsarchitektur heimgekehrter Kreuzfahrer, als „Stellvertreterheiligtum“ und Zielort einer „Ersatzwallfahrt“, gelegentlich auch als theologisch-didaktisches Lehrbauwerk werden überall in Europa Nachbauten der Heiliggrabädikula errichtet. Dabei entstehen ganz eigenständige, teilweise auch grundlegend neue Raumkonzeptionen, die architektonisch deshalb besonders interessieren, weil es sich in der Regel nicht um wortwörtliche Zitate des Jerusalemer Vorbildes handelt, sondern um topische Nachbauten, die das Original ausschnitthaft interpretieren und je nach Widmung bestimmte Aspekte überhöhen. Nach umfassender Sichtung der Schrift- und Bildquellen wurden 122 mittelalterliche Nachbauten des Heiligen Grabes identifiziert, von denen sieben in allen Einzelheiten dokumentiert und baugeschichtlich untersucht worden. Es sind dies die Felsenkirche St. Jean in Aubeterre, die gotische Ädikula der Liebfrauenrotunde des Münsters zu Konstanz, das Heilige Grab in der Heiligkreuzkirche in Eichstätt, der Garten des Heiligen Grabes in Görlitz, die Jeruzalemskerk in Brügge, das Heilige Grab in Augsburg und das Heilige Grab in der Capella Rucelllai in Florenz. Diese Bauten wurden in allen Einzelheiten, in Grundrissen, Schnitten und Ansichten, erfasst, ergänzt um die notwendigen Detailaufnahmen des Baudekors und der ortsfesten Ausstattung. Die Baugeschichte wurde nach den Quellen aber auch aufgrund eingehender Bauforschung geklärt, die Ergebnisse in monographischen Einzeluntersuchungen zusammengefaßt. Abweichend vom ursprünglichen Antrag wurde die Heiliggrabrotunde in Neuvy-Saint- Sépulcre sowie in Canosa die Puglia nicht aufgenommen, da diese zwischenzeitlich in monographischen Arbeiten der örtlichen Denkmalpflege erfasst wurden. Stattdessen wurde die Templerkirche in Tomar mit in den Katalog der im Detail bearbeiteten Heiliggrabkopien aufgenommen. Ebenso, als Ergänzung der Heiliggrabkopie in der Capella Rucellai, eine interessante Renaissanceanlage in der Villa Imperiale in Pesaro. Im Übrigen wurden sämtliche Arbeiten nach Maßgabe des ursprünglich aufgestellten Arbeits- und Finanzplanes durchgeführt. Im Ergebnis liegt damit das Material für eine umfassende und systematische Bearbeitung des Typus der mittelalterlichen Kopie des Heiligen Grabes vor, über den bisher nur Einzeluntersuchungen existierten. Insofern stellen die Forschungsergebnisse eine wesentliche Erweiterung unseres Kenntnisstandes dar. Das Material ist erst teilweise publikationsfähig aufbereitet, die Arbeiten werden jedoch aus Mitteln des Lehrstuhls fortgeführt. Nach Abschluß der Auswertung soll sowohl der Katalog der in Schrift- und Bildquellen aktenkundigen Beispiele, wie auch die monographischen Bauten in einer Gesamtpublikation veröffentlicht werden. Die Publikation dürfte, neben ihrer fachspezifischen Bedeutung für die Bau- und Kunstgeschichte, vor allem für die Geschichtswissenschaften, die Volkskunde und die Religionswissenschaften von Interesse sein. Die Ergebnisse des Forschungsprojektes Jerusalemskirchen wurden in intensiver Zusammenarbeit mit dem Historischen Institut der RWTH Aachen, Fachrichtung Mediävistik erarbeitet. Die an den Gebäuden selbst vorgenommenen Forschungen wurden so in einer begleitenden Aufarbeitung der historischen Schriftquellen, sowie der verfügbaren Bildmaterialien ergänzt. Die Kooperation mit dem Historischen Institut ermöglichte vor- und nachbereitende Recherchen zu den archivalischen Quellen der ausgewählten Objekte, um nicht nur die bauhistorischen Ergebnisse ergänzend zu vertiefen, sondern auch das hochmittelalterliche Jerusalemsbild als Schauplatz der Erlösungs- und Heilgeschichte präziser zu fassen. Darüber hinaus implizierte es auch die Visionen des Himmlischen Jerusalems, wie es sich neben den Realimitationen der Grabeskirche auch in den hochmittelalterlichen Radleuchtern, sowie in der Kaiser- und Karlskrone manifestiert. Die erarbeiteten wissenschaftlichen Ansätze sind deshalb für andere Fachdisziplinen von Interesse. Sie wurden im Rahmen einer das Projekt begleitenden Ausstellung präsentiert und in einer Katalogveröffentlichung der interessierten Fachwelt zugänglich gemacht.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- Pax et Concordantia – Das Heilige Grab von Leon Battista Alberti als Memoralbau des Florentiner Unionkonzils (1439-43). Freiburg/Berlin
Naujokat, Anke