Klinische Ethik-Komitees: Weltanschaulich-konfessionelle Bedingungen und kommunikative Strukturen ehtischer Entscheidungen in Organisationen
Final Report Abstract
Klinische Ethik-Komitees (KEKs) sind vor etwa zwei Jahrzehnten in den USA entstanden und haben inzwischen auch die Bundesrepublik erreicht. Sie gehören zwar noch nicht zum Standard deutscher Kliniken, jedoch wächst ihre Zahl rapide. Parallel zur Etabliemng öfl'entlicher Debatten über bio- und medizinethische Fragen, insbesondere im Zusammenhang mit Fragen der Entscheidungen am Lebensanfang und am Lebensende, haben sich in Kliniken KEKs gebildet, die letztlich die öffentlich geführten abstrakten Debatten an konkreten Fällen und praxisrelevant weiterfuhren sollten. Die erste Erwartung an solche Einrichtungen bestand (und besteht) darin, dass dort jene Entscheidungen mit ethischem Sachverstand getroffen werden sollen, die auf Station zum einen aufgrund der organisatorischen Geschwindigkeit womöglich nicht angemessen möglich ist, zum anderen nur im Rahmen eines KEKs seine ethische Expertise abgerufen werden kann, die auf Station und allein von Medizinern nicht vorgehalten wird. Legt man diesen Maßstab an die Arbeit von KEKs, muss man sie als gescheitert erklären - in KEKs werden eher abstrakte Fälle behandelt, Grundsatzfragen oder aber Fälle nachdiskutiert. Diesen Maßstab freilich anzulegen, hieße, die Funktionsweise von KEKs völlig zu verkennen. So lautet denn auch das Hauptergebnis unserer Studie, dass die ethische Bedeutung von KEKs nicht darin liegt, im Sinne einer ethischen Professionalität eindeutig Entscheidungen für schwierige Fälle zu finden. Die ethische Bedeutung von KEKs liegt vielmehr darin, dass in hochkomplexen, arbeitsteilig, schnell und hierarchisch arbeitenden Organisationen wie Krankenhäusern überhaupt ein Raum geschaffen wird, in der die Logik der Kommunikation nicht der Entscheidungsnotwendigkeit auf Station folgt. Mit KEKs werden die Entscheidungswege innerhalb des komplexen Krankenhausgeschehens nicht wirklich verändert - aber die Plausibilität von Entscheidungen wächst, wenn es möglich ist, die differenten Perspektiven aus medizinischer, pflegerischer, seelsorgerlicher und Patientenperspektive wenigstens wahrgenommen zu haben. KEKs sind in der Tat ethisch signifikant, denn ihre Form antwortet auf Erwartungen aus einer Kultur, die nach symmetrischer Kommunikation ruft, und das selbst noch in Organisationen, die funktional der Unterbrechung solcher Symmetrien dienen. Diese Organisationen reagieren auf die Kakophonie an Sprechen, indem sie Inseln innerhalb ihrer selbst zulassen, die diese Sprecher als bestimme ethische Sprecherpositionen in ihrer Eigenart sichtbar machen und damit zwar keineswegs Macht und Hierarchien wegarbeiten, aber wenigstens zeitweise neutralisieren - um sie dann praktisch wirksamer zu machen. Ganz im Gegensatz zur akademischen Ethik, die immer auf einen die Argumente verknappenden Algorithmus angewiesen ist, um zu eindeutigen Sätzen zu kommen, produzieren KEKs nicht Eindeutigkeiten, sonder Vielheiten: Die Anzahl der beteiligten Sprecher und der Argumente multiplizieren sich und explodieren geradezu und sind aufgrund der Bedingung wechselseitiger Anerkennung kaum noch zu beschränken. Dies und allein dies ist der ethische Sinn der Kommunikation, der sich in der Praxis zeigt. Unsere soziologische Perspektive hält uns davon ab, dies für eine Mangeldiagnose der KEKs zu halten - im Gegenteil: Exakt darin sind KEKs von enormer Bedeutung für Kliniken. Im theologischen Projektteil wurde zusätzlich die Rolle von Klnikenseelsorgern in KEKs in den Blick genommen. Ihre besondere Kompetenz liegt weniger in der „dogmatischen" Ausgestaltung ihrer Rolle, sondern letztlich darin, selbst Experten für Kommunikation zu sein und darin exakt für das zu sorgen, was die ethische Bedeutung von KEKs ausmacht; dass unterschiedliche Perspektiven als unterschiedliche Perspektiven wenigstens sagbar werden.