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Werkzeuge des klinischen Wissens – eine praxeologische Analyse psychiatrischer Forschung am Beispiel der „Bonner Studie“

Antragsteller Dr. Ketil Slagstad
Fachliche Zuordnung Wissenschaftsgeschichte
Förderung Förderung seit 2024
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 535738332
 
In den späten 1960er und frühen 1970er Jahren wurde eine von den ersten großen Langzeitstudien zur Schizophrenie durchgeführt. Die Bonner Studie untersuchte über 500 Patient:innen, die in den 1940er und 1950er Jahren unter der Diagnose Schizophrenie aufgenommen worden waren. Die Studie war exzeptionell im Hinblick auf Probandenzahl, Beobachtungszeitraum und den andauernden Erkenntnisgewinn: Krankenakten wurden systematisch identifiziert, gesammelt und gesichtet, Proband:innen wurden kontaktiert, rekrutiert und interviewt und Angehörige wurden befragt. Die Langzeitstudien haben nicht nur die frühere düstere Schizophrenieprognose grundsätzlich infrage gestellt. Die Studien haben ebenfalls ein neues Schizophreniemodell und neue Krankheitskonzepte hervorgebracht, neue klinische Werkzeuge geschaffen und neue therapeutische Handlungsmöglichkeiten wie eine frühzeitige und präventive Behandlung ermöglicht. Dieses DFG-Projekt ist eine wissenschaftshistorische Analyse der Bonner Studie, und soll dazu beitragen, eine Lücke im Forschungsstand zur klinischen Forschung des späten 20. Jahrhunderts zu schließen. Hauptziel des DFG-Antrags für eine eigene Stelle und den ersten Schritt zur Habilitation ist eine andere Perspektive auf die im Forschungsstand beliebte Vorstellung des klinischen Wissensflusses "from bench to bedside" - vom Labor zur Klinik - zu bieten: die Bonner Studie zeigt, dass klinische Forschung auch andersrum möglich ist, von der Klinik ins Labor. Diese Analyse ist nur möglich, weil ein außergewöhnlicher Archivbestand zur Bonner Studie im Berliner Institut für Geschichte der Medizin und Ethik in der Medizin zur Verfügung steht: Krankenakten, Untersuchungsbögen, statistische Auswertungen, Selbstbeschreibungen, Briefwechsel zwischen Patient:innen, Angehörigen und dem Team, Forschungsanträge in mehreren Fassungen, Buch- und Vortragsmanuskripte etc. Das in seiner Dichte und Geschlossenheit selten vollständige Material erlaubt, den gesamten klinischen Forschungsprozess von Behandlung bis Theoriebildung zu rekonstruieren, d.h. das doing von Forschung. Das praxeologische angelegte DFG-Projekt will damit einen Beitrag leisten, wie klinische Forschung der Gegenwart "funktioniert", nämlich als eine aus der Krankenhausinfrastruktur entwickelte Papiermaschine, eine materielle Infrastruktur für Kommunikation und soziales Handeln, ein Aufschreibesystem und Beschriftungsgerät zum Rastern, Selektieren und Verdaten klinischer Symptome, Befunde und katamnestische Daten, d.h. ein Werkzeug zur Vereinheitlichung, Homogenisierung, Ausscheidung und Kategorisierung. Sie erscheint hier nicht als Verfahren, das im Labor gewonnenes Wissen bestätigt, sondern als innovativ und theoriebildend. In Anlehnung an Hans-Jörg Rheinberger geht es darum, einen Einblick und Verständnis in eine experimentelle Zukunftsmaschine der klinischen Forschung zu gewinnen.
DFG-Verfahren Sachbeihilfen
 
 

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