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Phonographische Musikpraxis und sozialistische Zentralautoritäten: Produktionspolitiken des DDR-Plattenlabels Amiga 1971–1990
Antragsteller
Privatdozent Dr. Christofer Jost
Fachliche Zuordnung
Theater- und Medienwissenschaften
Förderung
Förderung seit 2023
Projektkennung
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 530949272
Das Projekt widmet sich den Produktionspolitiken des Plattenlabels Amiga, welches als eines von sechs Abteilungen des einzigen Tonträgerherstellers der DDR, des VEB Deutsche Schallplatten, für das Produzieren, Kuratieren und Veröffentlichen populärer Musik zuständig war. Der Begriff der Produktionspolitiken bezieht sich dabei auf die von vielfältigen Interessen geleitete und unterschiedliche Handlungsfelder umschließende Entstehung phonographischer Musikangebote. Die Amiga war jene Instanz, die die Musikangebote materiell verfügbar machte, wobei sich die Entscheidungen innerhalb des Labels erheblich auf populäre Musikrichtungen wie Rock, Pop, Schlager und Jazz auswirkten. Nach der überwiegend restriktiven Kulturpolitik der 1960er-Jahre bedeuteten der Machtwechsel von Walter Ulbricht zu Erich Honecker im Jahr 1971 und die darauffolgende Entwicklung in Richtung Konsumsozialismus eine Öffnung des Musikbetriebs, durch die sich Amiga-Produktionen weiter ausdifferenzierten. Begleitet war diese Phase aber weiterhin von Eingriffen des Staatsapparates, die in den 1970er- und 1980er-Jahren Verbote, Ausbürgerungen und Fluchtbewegungen von Künstler:innen nach sich zogen. Ziel des Projektes ist, die Produktionspolitiken des Plattenlabels Amiga sowohl dokumenten- als auch interviewgestützt zu rekonstruieren und an ihrem Beispiel sozio-technische Konstellationen zu kartieren, in denen phonographische Musikangebote entstehen. Es wird untersucht, wie in der DDR mittels musikverlegerischer Aktivitäten versucht wurde, Einfluss auf die Ausformung des populären Musikfeldes zu gewinnen. Dabei wird zum einen nach der Eingriffstiefe zentralistischer Vorgaben in mediale Ressourcen, administrative Abläufe, Akteurskonstellationen und künstlerische Entscheidungen gefragt. Zum anderen ist der Blick auf die Handlungsspielräume gerichtet, die jenseits staatlicher Vorgaben entstanden und die Aufschluss über die Eigenlogiken in der Produktion populärer Musik unter dem Dach der Amiga geben. Besonderes Augenmerk wird in diesem Zusammenhang den vielfältigen Normierungen und Standardisierungen geschenkt, die aus den organisationalen Strukturen einer Medieninstitution (hier eines Plattenlabels) und den medialen Arrangements im Tonstudio resultieren und in den musikalisch-klanglichen Realisierungen auf unterschiedlichen Ebenen ihren Widerhall finden. Das Projekt versteht sich damit als Beitrag zur Rekonstruktion und Interpretation (medien-)historischer Verläufe und Konstellationen, die – etwa aufgrund ideologischer Aspekte – eine Differenz gegenüber den historiografisch und empirisch gut dokumentierten marktwirtschaftlichen Medienindustriekomplexen markieren. Mit seinem Fokus auf phonographische Produktionszusammenhänge beleuchtet das Projekt zudem einen Ausschnitt medialer Realitäten in der DDR, der in der medienwissenschaftlichen Forschung noch unterrepräsentiert erscheint.
DFG-Verfahren
Sachbeihilfen