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Renaissance des māturīditischen kalāms im 12./18. Jahrhundert. Mit einer kommentierten Übersetzung und Analyse des Kitāb al-Masāʾil al-ḫilāfiyya bayna l-Māturīdiyya wa-l-Ašāʿira von Muḥammad b. Walī b. Rasūl al-Qīršahrī al-Izmīrī (gest. 1165/1751) und dem Kommentar des Autors
Antragstellerin
Dr. Angelika Brodersen
Fachliche Zuordnung
Islamwissenschaft, Arabistik, Semitistik
Förderung
Förderung seit 2023
Projektkennung
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 513826643
Die māturīditische Richtung des sunnitischen kalāms erfreut sich heute auch außerhalb ihrer transoxanischen Ursprungsregion großer Beliebtheit. Entstanden auf dem Gebiet des heutigen Usbekistan und mit der Wende zum 5./11. Jahrhundert als theologische Schule greifbar, bezieht sie sich auf das Werk des ḥanafitischen Theologen und Juristen Abū Manṣūr al-Māturīdī (gest. 333/944). Seit dem späten 5./11. Jahrhundert ist eine Auseinandersetzung mit der konkurrierenden sunnitischen Schulrichtung der Ašʿariyya zu beobachten. Diese Abgrenzung weicht jedoch im Laufe der Zeit auf und mündet in osmanischer Zeit in eine Reihe von Schriften, in denen die Differenzpunkte beider Schulen aufgezählt, aber als letztlich so unbedeutend dargestellt werden, dass man von einer Harmonisierungstendenz in Richtung auf eine einheitliche sunnitische Schule sprechen kann. Mit diesem Projekt sollen Einzelheiten der sunnitischen Theologie des 12./18. Jahrhunderts aus māturīditischer Perspektive beleuchtet werden. Im Fokus stehen das "Kitāb al-Masāʾil al-ḫilāfiyya bayna l-Māturīdiyya's wa-l-Ašāʿira" ("Buch der umstrittenen Fragen") und dessen Kommentar von Muḥammad b. Walī b. Rasūl al-Qīršahrī al-Izmīrī (gest. 1165/1751). Denn zur Wirkungszeit dieses ḥanafitischen Muftīs und vielseitigen Gelehrten fand innerhalb des Sunnitentums insofern ein Paradigmenwechsel statt, als einige Theologen wieder vermehrt auf māturīditische Quellen zurückgriffen und bestrebt waren, die Überlegenheit dieser Theologie über das ašʿaritische System zu beweisen. Ausgehend von einer kommentierten Textübersetzung soll zunächst analysiert werden, welche theologischen Themen im Zentrum des Interesses standen und zwischen Māturīdiyya und Ašʿariyya besonders kontrovers diskutiert wurden. Dadurch erweist sich das "Kitāb al-Masāʾil al-ḫilāfiyya" als wichtiges Zeugnis zur Analyse des theologischen Diskurses im 12./18. Jahrhundert. Darüber hinaus stellt das "Kitāb al-Masāʾil al-ḫilāfiyya" auch eine bisher nicht beachtete Quelle zur Rekonstruktion früherer Phasen in der Herausbildung der Māturīdiyya dar. Denn der Autor nimmt nicht nur auf bekannte Quellen Bezug, sondern nennt Personen als māturīditische mutakallimūn, die als solche in der bisherigen Forschung nicht wahrgenommen werden. Durch diese Rezeption früher māturīditischer Werke kann das "Kitāb al-Masāʾil" somit auch als Quelle zur Rekonstruktion der frühen Māturīdiyya bzw. zur Modifikation bisheriger Forschungsmeinungen dienen. Auf dem Hintergrund der zunehmenden Beliebtheit der māturīditischen Theolozwgie in zeitgenössischen muslimischen Gemeinschaften soll die Übersetzung und Analyse des "Kitāb al-Masāʾil" darüber hinaus dazu beitragen, aktuelle geistes- und sozialgeschichtliche Entwicklungen in ihren historischen Kontext einzuordnen und zu hinterfragen. Die zu untersuchende theologische Schrift stellt somit ein wichtiges Bindeglied zwischen Schriften aus der Frühzeit der māturīditischen Schule und deren Interpretation im modernen Diskurs dar.
DFG-Verfahren
Sachbeihilfen