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Ungeschriebene Regeln im Verfassungsrecht: Eine vergleichende Untersuchung

Fachliche Zuordnung Öffentliches Recht
Förderung Förderung seit 2022
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 502774604
 
Kein Verfassungstext enthält alle Regeln, die die Verfassungsordnung braucht, um zu funktionieren. Ungeschriebenes Verfassungsrecht gilt zwar als Eigenart der Westminster-Demokratien, ist aber Merkmal aller Verfassungsstaaten – und damit ein zentrales Thema für die vergleichende Verfassungsrechtswissenschaft. Die gerichtliche Anerkennung und Anwendung ungeschriebener Verfassungsnormen stellt eine theoretische und praktisch-politische Herausforderung dar: Wie legitimieren sich ungeschriebene Regeln? Wie verhalten sie sich zu anderen Quellen des Verfassungsrechts? Wie verändern sie Reichweite und die Methode verfassungsgerichtlicher Kontrolle demokratischer Entscheidungen? Das vorliegende Projekt untersucht das Phänomen des ungeschriebenen Verfassungsrechts aus vergleichender und interdisziplinärer Perspektive. Grundlage sind drei Verfassungsordnungen, deren Verhältnis zum ungeschriebenen Verfassungsrecht sich fundamental unterscheidet: Großbritannien (permissiv), Deutschland (restriktiv) und Kanada (intermediär). Die unterschiedlichen institutionellen, normativen und politischen Eigenarten des Verfassungsrechts dieser drei Länder erlauben eine tiefenscharfe Erörterung der Problematik. Zugleich verbreitert die Einbeziehung politikwissenschaftlicher und rechtstheoretischer Expertise den Analyserahmen.Konkret sucht das Forschungsvorhaben das Verständnis von „unwritten constitutionalism“ in dreierlei Hinsicht zu erweitern. Erstens sollen ungeschriebene Regeln und Prinzipien, denen Verfassungsrang zuerkannt wird, systematisch aus einer vergleichenden Perspektive untersucht werden, um ihre Eigenarten und Funktionen im Kontext der jeweiligen Verfassungsordnung besser zu verstehen. Auf dieser Basis soll zweitens die im vergleichenden Verfassungsrecht oftmals stereotyp gebrauchte verfassungstheoretische Gegenüberstellung von „geschriebenen“ und „ungeschriebenen“ Verfassungen in Frage gestellt werden. Stattdessen gilt es, ein differenziertes und quellengesättigtes Verständnis der Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen verschiedenen Verfassungstypen und institutionellen Arrangements im Hinblick auf den Status von geschriebenem und ungeschriebenem Verfassungsrecht zu entwickeln. Drittens widmet sich das Forschungsvorhaben auf einer methodisch abgesicherten Vergleichsbasis dem Zusammenhang zwischen der verfassungsgerichtlichen Berufung auf ungeschriebene Regeln einerseits und der Autorität von judikativer Rechtserzeugung andererseits. Dies ist gerade angesichts der Krise der internationalen Verfassungsgerichtsbarkeit und der polarisierten Debatte über Sinn und Geltung von Verfassungen und die Rolle von Gerichten ein Desiderat der Verfassungsvergleichung von erheblicher sozialer und politischer Bedeutung.
DFG-Verfahren Sachbeihilfen
Internationaler Bezug Großbritannien, Kanada
 
 

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