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Bevölkerung, Familie, Individuum: Wissensgeschichte der Humangenetik in der frühen Bundesrepublik 1949–1965
Antragstellerin
Professorin Dr. Isabel Heinemann
Fachliche Zuordnung
Neuere und Neueste Geschichte (einschl. Europäische Geschichte der Neuzeit und Außereuropäische Geschichte)
Wissenschaftsgeschichte
Wissenschaftsgeschichte
Förderung
Förderung seit 2021
Projektkennung
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 491871468
Das Anliegen der hier vorgeschlagenen Studie ist eine Geschichte der Produktion, Zirkulation und Rezeption humangenetischen Wissens an der Scharnierstelle zwischen Diktatur und Demokratie. Sie untersucht die Geschichte der Humangenetik in der frühen Bundesrepublik mit Blick auf ihre Akteur*innen, die Systematisierung und Ordnung von Wissenschaft und Wissensbeständen, sowie die Repräsentation und Medialität humangenetischen Wissens. Den Ausgangspunkt der Analyse bildet die Frage nach dem Wandel der Begriffe „Bevölkerung“, „Familie“ und „Individuum“ als Leitkategorien humangenetischer Forschung und Beratung. So lassen sich Kontinuitäten und Transformationen humangenetischer Wissensbestände in einer Phase institutioneller und forschungspraktischer Reorganisation präzise bestimmen – ohne vorschnellen Kontinuitätshypothesen oder euphemistischer Neuanfangs¬erzählungen aufzusitzen.Im Blickfeld der Untersuchung stehen fünf humangenetische Forscher und die von ihnen geleiteten Institutionen: Otmar Freiherr von Verschuer (Münster), Hans Nachtsheim (Berlin), Fritz Lenz (Göttingen), Wolfgang Lehmann (Kiel), Karl Saller (München). Sie haben an entscheidender Stelle die Rassenforschung des Nationalsozialismus geprägt und konnten nach dem Zweiten Weltkrieg ihre Karrieren fortsetzen. Diese fünf Protagonisten standen in den 1950er Jahren den einzigen humangenetischen Forschungsstätten in der BRD vor und konnten damit, so ist zu vermuten, entscheidenden Einfluss auch auf die Restrukturierung und inhaltliche Ausrichtung der Disziplin nach 1945 nehmen.Unter welchen Bedingungen wurde die NS-Leitwissenschaft der Rassenforschung nach 1945 zur gesellschaftlich akzeptierten Humangenetik? Woran wurde geforscht und vor allem: Inwiefern strebten die Akteur*innen eine Kontinuität oder Neuerung zu den Forschungspraktiken der „Rassenhygiene“ an? Wie gestaltete sich die Beziehung zu Politik und Gesellschaft und welche internationalen Kooperationen konnten nach 1945 aufrechterhalten werden? Als thematischer Zugang wählen wir eine an Philipp Sarasin angelehnte Untersuchung der Akteure*innen, Systematisierung und Ordnung sowie Repräsentationsformen und Medialität humangenetischen Wissens. In den einzelnen Perspektiven verschränken sich ausgewählte Methoden der Zeitgeschichte, Science and Technology Studies, Historischen Epistemologie, Medizin- und Wissenschaftsgeschichte, um der inhaltlichen Breite der Nachkriegs-Humangenetik analytisch gerecht zu werden. Zentrale Quellenbestände sind Nachlässe, Publikationen, Vorträge, (internationalen) Korrespondenzen und Instituts- sowie Forschungsakten der Protagonisten.
DFG-Verfahren
Sachbeihilfen