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Lärm vor Dezibel. Annäherung an eine Semantik illegitimen Klangs im Spätmittelalter

Fachliche Zuordnung Mittelalterliche Geschichte
Förderung Förderung seit 2021
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 463346728
 
Lärm ist störend, er lenkt ab und macht krank. Deshalb wird er seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gemessen und heute meist auf technischem Wege reguliert. Im Mittelalter bestanden diese Möglichkeiten nicht, und doch registrierten die Menschen Klänge als Störung. Das Projekt „Lärm vor Dezibel“ nähert sich der Wahrnehmung und Bewertung von Klängen im späten Mittelalter anhand der Verbalisierung von Sinneswahrnehmungen an. Lärm bietet sich dabei als Untersuchungsgegenstand an, weil seine sprachliche Kennzeichnung zugleich das Ergebnis einer Bewertung als störend, als illegitim ist. Diese binäre Bewertung macht das ansonsten sehr breite Spektrum der Klänge erst handhabbar. Ziel der Untersuchungen ist es, Grundlagen einer historischen Semantik solch illegitimen Klangs zu bilden. Für Epochen, die noch nicht über Tonaufzeichnungen verfügten, ist die sprachliche Einkleidung der einzige Schlüssel zu Wahrnehmung und Deutung der akustischen Umwelt. In dieser Hinsicht bleibt der sonic turn, den nun auch die Geschichtswissenschaft ausgerufen hat, für die Vormoderne wesentlich ein linguistic turn. Deshalb sind auch die Erträge der meist auf die mediale Seite gerichteten sound studies und der soundscape-Forschung nur bedingt für die älteren Epochen nutzbar. Sie bedürfen zumindest einer methodischen Erweiterung, für die anthropologisch orientierte Überlegungen zu Hören und Klängen in der Vergangenheit wegweisend sind; sie lassen sich zu einer Wahrnehmungsarchäologie vergangener Klangwelten ausbauen. Diese Überlegungen bilden den Rahmen für die hermeneutische Untersuchung des Lärms. auf drei Ebenen: (1.) der sprachlichen Codierung akustischer Wahrnehmung allgemein, (2.) der konkreten Benennung störender Geräusche und (3.) der möglichen Entkopplung sprachlicher Klangbilder vom akustischen Ereignis, d. h. deren metaphorischer Verwendung. Die Studie zielt dabei auf zwei Quellengruppen: unter dem Stichwort (a) „Lärm wahrnehmen und beschreiben“ auf Texte von stärker introspektiver und erzählend-literarischer Qualität wie Reiseberichte und Humanistenbriefe sowie unter (b) „Lärm wahrnehmen und normieren“ auf lärmbezogene normative Festlegungen in Statuten des klösterlichen und städtischen Lebens. Somit rücken zwei Bereiche mit unterschiedlichen Wahrnehmungsvoraussetzungen in den Blick der komplementären Untersuchung. Die Texte werden in Form von close reading auf klangspezifische Situationen und Ausdrücke durchsucht, die Fundstellen (prototypen-)semantisch analysiert und interpretiert. Das Projekt mündet in die Anlage eines Vokabulariums sprachlicher Fixierung von akustischen Störungen. Neben dieser kommentierten online-Belegsammlung illegitimer Klänge sollen zwei monografische Studien zur wahrnehmungsarchäologischen Semantik sowie die Formulierung methodologischer Module zur Verwendung in der weiteren Klangforschung den Ertrag des Projektes sichern.
DFG-Verfahren Sachbeihilfen
 
 

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