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Wann interpersonelle Kommunikation das Gedächtnis von Sprecher:innen beeinflusst: Die Rolle adressatenunabhängiger Urteile bei der Bildung einer gemeinsamen Realität
Antragsteller
Professor Dr. Gerald Echterhoff
Fachliche Zuordnung
Sozialpsychologie und Arbeits- und Organisationspsychologie
Allgemeine, Kognitive und Mathematische Psychologie
Allgemeine, Kognitive und Mathematische Psychologie
Förderung
Förderung seit 2019
Projektkennung
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 397530566
Die Anpassung einer Mitteilung an den Adressaten (adressatenorientierte Kommunikation, aoK) kann das Gedächtnis der Sprecher:innen beeinflussen. AoK findet z.B. statt, wenn Mitarbeiterin A ihre Beschreibung des ersten Arbeitstags eines neuen Kollegen an die Einstellung eines anderen Kollegen (des Adressaten) anpasst. Es kommt zu einer Gedächtnisbeeinflussung, wenn die Erinnerungen von A an das Verhalten des neuen Kollegen adressatenorientiert verzerrt sind. Einem etablierten Ansatz zufolge gründet dieser Effekt in der Bildung einer gemeinsamen Realität (Shared Reality, SR) mit dem Adressaten, die u.a. das Bedürfnis nach epistemischer Gewissheit erfüllt. Die Studien der ersten Förderphase stützen die Annahme, dass als „wahr“ empfundene Informationen kognitiv zugänglicher sind (Eitam & Higgins 2010): Die Versuchspersonen antworteten in einer neu entwickelten Reaktionszeitaufgabe schneller auf Eigenschaftsaussagen (Trait-Informationen), die mit der Adressateneinstellung übereinstimmten. Dieser Befund fügt sich gut in den Rahmenansatz der Forschungsgruppe ein: Der aoK-Effekt beim Abruf entsteht aus der Anreicherung episodischer Gedächtnisspuren mit semantischen Trait-Information (Cheng & Werning, 2016). Der Zugänglichkeitsvorteil korrelierte zudem mit dem SR-Erlebnis. Die spontane Zugänglichkeit passender Informationen trägt offenbar maßgeblich zur Gedächtnisbeeinflussung durch SR bei.Im aktuellen Projekt erforschen wir erstmals Einflüsse vorgängiger, adressatenunabhängiger Urteile der Sprecher:innen. In Teil 1 soll das epistemische Vertrauen in das eigene anfängliche Urteil so erhöht werden, dass potenzielle SR-Einflüsse und damit der Gedächtniseffekt verringert werden. Die experimentellen Manipulationen nähern sich dabei schrittweise Bedingungen von Alltagskommunikation an, von individuellen kognitiven Prozessen (bloßes Nachdenken über das eigene Urteil, Arbeitspaket/AP 1) über dyadische Prozesse (offene Mitteilung des Urteils an einen ersten, unabhängigen Adressaten, AP2) bis zu sozialer Verifizierung durch eine Gruppe (AP3). Wegen festgestellter Wechselwirkungen zwischen freiem Abruf und der neuen Reaktionszeitaufgabe werden diese Maße in separaten Studien erhoben. Zwecks konzeptueller Präzision werden die postulierten Prozesse in Kooperation mit P5 auch modelliert. In Teil II (APs 4 & 5) wird der Ansatz auf Gedächtnis für eigene Verhaltensweisen erweitert, d.h. Gedächtnisinhalte mit chronischer Zugänglichkeit und hoher motivationaler Relevanz (Dings & Newen, 2021). Bei geringem (vs. hohem) epistemischem Vertrauen in das eigene Urteil sollten SR-Einflüsse und Gedächtnisverzerrungen eher auftreten, vor allem bei geringem Selbstschutzbedürfnis und sogar für negative Adressatenurteile und erwartungsabweichende Verhaltensweisen. Die erwarteten Erkenntnisse haben hohe praktische Relevanz, z.B. für Verzerrungen von Augenzeugenerinnerungen, Täuschungen und Vorurteile in sozialen Netzwerken sowie kollektive Erinnerungskonflikte zwischen Gruppen.
DFG-Verfahren
Forschungsgruppen
Teilprojekt zu
FOR 2812:
Szenarien der Vergangenheit: Ein neuer theoretischer Rahmen für das generative episodische Gedächtnis
Internationaler Bezug
USA
Kooperationspartnerinnen / Kooperationspartner
Professor E. Tory Higgins, Ph.D.; Professor William Hirst, Ph.D.; Professorin Dr. Lisa Libby