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Prekäre Verwandtschaft. Verhandlungen von Familienkonstellationen nach 1945 am Beispiel von Adoption und Inzest
Antragsteller
Professor Dr. Constantin Goschler; Professor Dr. Till Kössler
Fachliche Zuordnung
Neuere und Neueste Geschichte (einschl. Europäische Geschichte der Neuzeit und Außereuropäische Geschichte)
Förderung
Förderung von 2018 bis 2024
Projektkennung
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 398344145
Verwandtschaft dient als grundlegende gesellschaftliche Kategorie dazu, Beziehungen zwischen Menschen zu ordnen. Im 20. Jahrhundert wurde diese Kategorie auf neue Weise zum Gegenstand gesellschaftlicher Debatten wie individueller Auseinandersetzungen, wofür Veränderungen des Vererbungswissens und Entwicklungen medizinischer Reproduktionstechnologien ebenso verantwortlich waren wie gewandelte familiäre Beziehungsformen, Veränderungen der Geschlechterordnung sowie Prozesse der nationalen, ethnischen und sozialen Homogenisierung bzw. Diversifizierung. Die damit einhergehende Normierung, Nationalisierung und Idealisierung verwandtschaftlicher Beziehungen ließen Formen von Verwandtschaft, in denen soziale und biologische Verwandtschaftsverhältnisse nicht deckungsgleich waren, auf neue Weise als prekär erscheinen. Die gesellschaftlichen Diskussionen, wissenschaftlichen Expertisen und politischen Auseinandersetzungen um „prekäre Verwandtschaften“ zielten zugleich auf die Ordnung der Verwandtschaftsverhältnisse des Einzelnen wie auf die Bewahrung oder Transformation gesellschaftlicher Ordnungen. Die Kategorie der Verwandtschaft bildet somit eine von der Zeitgeschichte bisher wenig beachtete Sonde, mit der sich Veränderungen von Zugehörigkeit und Nicht-Zugehörigkeit und ihrer Deutung und damit zugleich von Gesellschaft in besonders geeigneter Weise untersuchen lassen.Hier setzt das geplante Forschungsprojekt an: Es beschäftigt sich im Rahmen von zwei Fallstudien zur Geschichte der Adoption und zur Geschichte des Inzests in Westdeutschland seit 1945 mit Phänomenen, in denen Verwandtschaftsbeziehungen als prekär galten. Während Adoption als Begründung eines Eltern-Kind-Verhältnisses ohne biologisches Abstammungsverhältnis definiert wird, bezieht sich der Begriff Inzest auf sexuelle Beziehungen zwischen biologisch Verwandten. Doch auf den zweiten Blick werden die Verhältnisse komplexer. Weder war die Adoption frei von biologischen Argumenten, noch war die Inzestschranke stets einheitlich biologisch definiert, sondern auch ein kulturelles Phänomen. In beiden Fällen „prekärer Verwandtschaft“ lassen sich somit gesellschaftliche und politische Aushandlungen über Biologie und Kultur und akzeptable und inakzeptable Formen der Stiftung von sozialer Zusammengehörigkeit erkunden. Die Untersuchung von Adoption und Inzest kann Reichweiten und Grenzen familiärer wie sozialer und politischer Vergemeinschaftung in ihren Beziehungen und in ihrem Wandel erfassen.
DFG-Verfahren
Sachbeihilfen