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Ungleichheit und direkte Demokratie in Europa

Fachliche Zuordnung Politikwissenschaft
Förderung Förderung von 2017 bis 2021
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 388146621
 
Erstellungsjahr 2020

Zusammenfassung der Projektergebnisse

In dem Projekt werden die Effekte direktdemokratischer Verfahren auf verschiedene Dimensionen von Ungleichheit untersucht. Ein Datensatz wurde erstellt, der alle direktdemokratischen Verfahren auf nationaler Ebene in europäischen Demokratien sowie international zwischen 1990 und 2015 enthält. Die zur Abstimmung gebrachten Vorlagen wurden danach codiert, ob sie einen Bezug zu sozioökonomischer, rechtlicher oder politischer Gleichheit hatten und wenn ja, ob sie darauf abzielten, den Abstand zwischen in dieser Hinsicht benachteiligten und besser gestellten Gruppen zu verringern oder zu vergrößern. Die Ergebnisse zeigen, dass eine Mehrheit der Vorlagen eine Ausweitung von Gleichheit vorsah. Besonders deutlich wird dies bei der sozioökonomischen Gleichheit, die gleichzeitig die am häufigsten tangierte Dimension war. Aber auch bei rechtlicher und politischer Gleichheit kamen mehr Vorlagen „pro Gleichheit“ zur Abstimmung. Betrachtet man die Outputs der direktdemokratischen Verfahren, also jene Vorlagen, die tatsächlich angenommen wurden, so bleibt dieses positive Bild zunächst bestehen. Es ist jedoch zu beachten, dass der Anteil der Outputs „pro Gleichheit“ insgesamt im Vergleich zu den Vorlagen zurückgeht. Gleichheitsfördernde Vorlagen scheinen also eine geringere Wahrscheinlichkeit zu haben, an der direktdemokratischen Urne angenommen zu werden. Es ist allerdings möglich, dass entsprechende Initiativen eher von Parlamenten übernommen werden und daher gar nicht zur Abstimmung gelangen – dies kann von künftigen Arbeiten untersucht werden. Die Ergebnisse des Projekts unterstreichen die Notwendigkeit, verschiedene Dimensionen von Gleichheit separat zu betrachten und nicht pauschal von einem Effekt von direkter Demokratie zu sprechen. Differenzierte Aussagen legen auch die Ergebnisse des Projekts zu verschiedenen direktdemokratischen Instrumenten nahe: Obligatorische Verfahren resultierten deutlich häufiger in pro-Gleichheitsoutputs, gefolgt von Top-down- und Bottom-up-Verfahren. Letztere werden meist von zivilgesellschaftlichen Gruppen, Parteien oder einer Koalition zwischen beiden initiiert – von Koalitionen eingebrachte Vorlagen sind dabei am erfolgreichsten. Statistische Mehrebenenanalysen zu den Faktoren, die pro-Gleichheitsoutputs wahrscheinlicher machen, sind aufgrund geringer Fallzahlen nur begrenzt aussagekräftig. Zudem zeigte eine beispielhafte Fallbetrachtung, dass die entscheidenden Faktoren oftmals nur schwer quantifizierbar sind. Dies spricht für eine tiefergehende Analyse der Wirkungsmechanismen bei einzelnen direktdemokratischen Verfahren, die anschließend auch vergleichend betrachtet werden können. Eine Analyse direktdemokratischer Verfahren im Globalen Süden und Ozeanien im gleichen Zeitraum offenbarte, dass auch dort mehr Vorlagen zur Abstimmung gelangten, die Gleichheit tendenziell ausbauen. Im Gegensatz zu Europa hatten in diesen Ländern die gleichheitsfördernden Vorlagen eine ebenso große Erfolgswahrscheinlichkeit wie jene Vorlagen, die Gleichheit in ihrem Output eher beschränken. Insgesamt legen die Ergebnisse des Projekts nahe, dass direktdemokratische Verfahren unter bestimmten Voraussetzungen ein Instrument sein können, das sozioökonomische, politische und rechtliche Gleichheit stärken kann. Sie sind zumindest nicht so pauschal eine Gefahr für Gleichheit, wie es manche Autor*innen auf Grundlage theoretischer Überlegungen oder Fallstudien behaupten.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • (2018): More or Less Equality? National Referendums in Europe from 1990 to 2015. Paper für den Workshop "Can Participatory Reforms Save Representative Democracy?", ECPR Joint Sessions 2018, Nikosia
    Geißel, Brigitte/Anna Krämling/Lars Paulus
  • (2018): The Effects of Direct Democratic Procedures on Socio-Economic Inequality in Europe. Paper für das Panel "Inequality and Direct Democracy", ECPR General Conference 2018, Hamburg
    Geißel, Brigitte/Anna Krämling/Lars Paulus
  • (2019): A Recipe for Success? Under Which Conditions are Pro-Legal Equality Bills for Minorities Successful in Direct Democratic Votes? Paper für das Panel "Citizens in Plebiscites: Direct Democratic Innovations", ECPR General Conference 2019, Wroclaw
    Geißel, Brigitte/Anna Krämling/Lars Paulus
  • (2019): Direct Democracy and Equality in European Democracies: Why Context Matters. Paper für das Panel "Citizens in Plebiscites: Direct Democratic Innovations", ECPR General Conference 2019, Wroclaw
    Geißel, Brigitte/Anna Krämling/Lars Paulus
  • (2019): It Depends… Different Direct Democratic Instruments and Equality in Europe from 1990 to 2015. Politics and Governance 7 (2), S.365- 379
    Geißel, Brigitte/Anna Krämling/Lars Paulus
    (Siehe online unter https://doi.org/10.17645/pag.v7i2.1881)
  • (2019): More or Less Equality? Direct Democracy in Europe from 1990 to 2015. Zeitschrift für Vergleichende Politikwissenschaft 13 (4), S.491-525
    Geißel, Brigitte/Anna Krämling/Lars Paulus
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1007/s12286-019-00435-3)
  • (2020): Direkte Demokratie und Volksabstimmungen in Europa - Herausforderungen und Chancen mit Blick auf Minderheiten. in: Stiftung Mitarbeit (Hg.). Direkte Demokratie. Chancen - Risiken - Herausforderungen. Bonn: Verlag Stiftung Mitarbeit, S.172-187
    Geißel, Brigitte/Anna Krämling/Lars Paulus
  • (2020): Elitist policy-making in disguise? Initiators of bottom-up referenda in European democracies. Paper für den Workshop "Innovation and Power: Exploring Democratic Innovation and its Main Actors", ECPR Joint Sessions 2020, virtuell
    Geißel, Brigitte/Anna Krämling/Lars Paulus
 
 

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