Datenbasierte Schulentwicklungsprozesse als Grundlage einer langfristigen Reorganisation von Einzelschulen. Eine Sekundäranalyse qualitativer schulfallbasierter Längsschnittdaten aus den Jahren 2005 bis 2013.
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Die vorliegenden Ergebnisse ergänzen die Theoriebildung im Bereich der Schulqualitäts- und Schuleffektivitätsforschung. Die Sekundäranalyse nimmt eine Weiterentwicklung bereits bestehender theoretischer Modellierungen von Schulentwicklungsprozessen im Kontext datenbasierter Steuerung in einem Modell datenbasierter Schulentwicklung professioneller Organisationen vor. Angeknüpft werden konnte am theoretischen Konstrukt schulischer Organisationen von Thiel (2008) sowie ersten empirischen Erkenntnissen von Thillmann (2012) und von eigenen Studien. In der Studie wurden für die Modellentwicklung vier Dimensionen schulischer Reorganisation empirisch analysiert, die einerseits das Verhältnis der einzelnen Lehrkräfte als auch den Umgang der schulischen Gremien und Funktionsstellen mit den Instrumenten der datenbasierten Schulsteuerung beschreiben: die Verantwortungsübernahme, das professionelle Handeln, die Organisationsstruktur und das organisationale Handeln. Diese wegweisenden Bereiche beschreiben und erklären die unterschiedlichen Umgangsweisen der Schulen mit den Vorgaben der bildungspolitischen Reformen. Zusammengefasst werden konnten Gemeinsamkeiten und Unterschiede datenbasierter Schulentwicklung in vier Mustern schulischer Reorganisation: die fragmentierte, die autonome, die gemanagte und die kollaborative professionelle Organisation. Insbesondere das letzte Muster stellte ein Novum dar, da es bisher in diesem Kontext wenig Erwähnung gefunden hat. Im Gegensatz zu bereits bekannten Umgangsweisen konnten die Lehrkräfte der Schulen dieses Musters ihre Autonomiespielräume in Form von ergänzenden Konsequenzen für ihre Unterrichtsgestaltung nutzen und sich gleichzeitig an die einheitlichen, kooperativ erarbeiteten Richtlinien und Absprachen auf Gremienebene halten. Die Lehrkräfte arbeiteten häufiger in neu geschaffenen Organisationsstrukturen wie Arbeitsgemeinschaften an Querschnittsthemen (wie der Sprachförderung), die eine jahrgangs- und fächerübergreifende Zusammenarbeit über entsprechende Maßnahmen wie selbstentwickelte Tests zur Binnendifferenzierung gefördert haben. Unterschiede zu den anderen Mustern entstanden, indem Schulleitungen, Konferenzen und Fachbereiche sowie weitere Gremien andere Formen der Kontrolle als einheitliche Bewertungsgrundlagen und -strategien oder interne Zielvereinbarungen etabliert, diese vernachlässigt oder durch externe Akteure wie die Schulaufsicht ersetzt haben. Auch auf der Ebene der Kooperation konnten solche Unterschiede gefunden werden, da häufig eher individuelle als kollaborative Handlungsweisen nachgewiesen werden konnten. Besonders relevant für die vier Muster ist zudem, dass alle Muster einem bereits bestehenden theoretischen bzw. empirischen Konstrukt der (schulischen) Organisationsforschung zugeordnet bzw. Ähnlichkeiten gefunden werden konnten. Zudem wurden Entwicklungsbedingungen identifiziert, die die Datennutzung für Schulentwicklungsprozesse erklären. Insbesondere der Fokus auf die Langfristperspektive der Schulentwicklung über die Reanalyse der vorliegenden großen Datenmenge konnte einen Einblick in nachhaltig etablierte Entwicklungsverläufe hervorbringen. Hierbei war es überraschend, dass die Regelungskontexte selbst weniger Einfluss auf die Möglichkeiten der Entwicklung nahmen als ursprünglich angenommen wurde. Vielmehr waren die schulinternen Gestaltungsmöglichkeiten relevant, deren Analyse eine Identifikation von Bedingungen datenbasierter Schulentwicklung hervorgebracht haben.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- (2019). Evidenzbasierte Schulentwicklung. Sprechen die empirischen Ergebnisse für oder gegen die Nutzung von Daten zur Schul- und Unterrichtsentwicklung? SchulVerwaltung aktuell. Zeitschrift für Schulentwicklung und Schulmanagement, 7(5), 135–137
Hartung-Beck, V. & Muslic, B.
- (2019). Organisationstheoretische Perspektive und empirische Befunde zum Verhältnis von Schulaufsicht und Schulleitung. In E. D. Klein & N. Bremm (Hrsg.), Kooperation, Unterstützung, Kontrolle? Zum Verhältnis von Schulaufsicht und Schulleitungen in der Schulentwicklung. Berlin: Springer VS
Muslic, B.
(Siehe online unter https://doi.org/10.1007/978-3-658-28177-9_12) - (2019). Potenzial der neo-institutionalistischen Organisationstheorie zur Analyse der strukturellen Verhältnisse in der schulischen Organisation. Am Beispiel von organisationsinternen Kopplungs- und Entkopplungsprozessen im baden-württembergischen Fallvergleich. In T. Stricker (Hrsg.), Zehn Jahre Fremdevaluation in Baden-Württemberg. Zwischenbilanz und Perspektiven auf Qualitätsmanagement, Evaluation und Schulentwicklung (S. 95–105). Wiesbaden: Springer VS
Muslic, B.
(Siehe online unter https://doi.org/10.1007/978-3-658-25778-1_7) - (2019). Schulreform aus Perspektive der Institutionen- und Organisationstheorie. In N. Berkemeyer, W. Bos & B. Hermstein (Hrsg.), Schulreform – Zugänge, Gegenstände, Trends (S. 69–79). Weinheim: Beltz Juventa
Muslic, B.
- (2020). Die qualitative Inhaltsanalyse innerhalb der empirischen Bildungsforschung. Einsatzmöglichkeiten in einer sekundäranalytischen Längsschnittstudie zur Identifikation von Reorganisationsmustern schulischer Organisationen [25 Absätze]. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 21(1), Art. 21
Muslic, B., Gisske, A. & Hartung-Beck, V.
(Siehe online unter https://doi.org/10.17169/fqs-21.1.3451)