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Jugendkriminalität in Deutschland und Russland: Kulturvergleichende Dunkelfeldstudie zur Prüfung anomie- und kontrolltheoretischer Ansätze

Fachliche Zuordnung Kriminologie
Förderung Förderung von 2007 bis 2014
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 38130442
 
Erstellungsjahr 2014

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Mit dem Projekt „Jugendkriminalität in Deutschland und Russland: Kulturvergleichende Dunkelfeldstudie zur Prüfung anomie- und kontrolltheoretischer Ansätze“ sollte die Annahme der institutionellen Anomietheorie (IAT) untersucht werden, dass die Beeinträchtigung nicht-ökonomischer Institutionen durch die Dominanz der Ökonomie nicht nur zu einer Durchdringung dieser Institutionen mit der Mentalität des Marktes führt, was sich in einer spezifischen Struktur der Kriminalität äußert, sondern sich auch in einer Schwächung formeller und informeller sozialer Kontrollen niederschlägt, was allgemein einen erhöhten Umfang der Kriminalität bewirkt. Hierzu wurde das Konstrukt der Normvermittlungstärke (NVS) nicht-ökonomischer Institutionen entwickelt, in dem die Wahrnehmung (subjektive Norm) des Ausmaßes, in dem die Repräsentanten dieser Institutionen egoistische und delinquente Verhaltensweisen ablehnen, mit der Bindung der Befragten an diese Repräsentanten kombiniert wird. Im Fokus stand insbesondere die NVS gegen Marktmoral (d.h. gegen die egoistische Durchsetzung eigener Interessen). Auf der Ebene von Makroeinheiten wurde untersucht, (a) inwieweit sich die NVS nicht-ökonomischer Institutionen zwischen Westdeutschland, Ostdeutschland und Russland unterscheiden, (b) ob die NVS gegen Marktmoral Unterschiede der Delinquenzraten zwischen den Ortsteilen der drei Regionen erklären kann, und (c) ob die NVS den Zusammenhang zwischen individuellen Deprivationserfahrungen, persönlicher Ellenbogenmentalität sowie Intentionen delinquenten Verhaltens mit tatsächlicher (selbstberichteter) Delinquenz zu erklären vermag. Hierzu wurden in 3 russischen, 3 ostdeutschen und 3 westdeutschen Städten repräsentative Stichproben von insgesamt 9.661 Schülerinnen und Schülern im Klassenverband zu selbstberichteter Delinquenz, Viktimisierungserfahrungen sowie normativen Einstellungen und delinquenzbezogenen Risikofaktoren befragt. Zentrale Ergebnisse der Studie sind: · Die Operationalisierung der NVS gegen Marktmoral ist gelungen. Damit wird empirisch prüfbar, inwieweit eine Durchdringung nicht-ökonomischer Institutionen mit Werten der Ökonomie zu einer Schwächung ihrer regulativen Kraft beiträgt. Die dazu entwickelte Vignettenmethode wird aktuell bereits in anderen Forschungsarbeiten aufgegriffen, so z.B. in internationalen Studien zur selbstberichteten Delinquenz (ISRD-3). · Die Widerstandskraft nicht-ökonomischer Institutionen gegen egoistische Interessendurchsetzung gemessen über die NVS gegen nutzenmaximierende Verhaltensweisen unterhalb der Strafbarkeit kann nicht nur Unterschiede zwischen Makroeinheiten (auf Ortsteilebene), sondern auch Unterschiede kriminellen Verhaltens auf der Individualebene erklären. Darüber hinaus wurde gezeigt, dass die NVS gegen Marktmoral die Wirkung von Delinquenzintentionen und von Ellenbogenmentalität auf das Tathandeln von Individuen abzupuffern vermag. · In kulturvergleichenden Studien ist damit zu rechnen, dass sich die Befragten in der Offenheit des Antwortverhaltens systematisch unterscheiden, was die Validität zu Angaben selbstberichteter Delinquenz beeinträchtigt. Deshalb werden in zukünftigen Studien neben Angaben zu Viktimisierungserfahrungen spezielle Methoden benutzt, um das Ausmaß abzuschätzen, in dem sich die Befragten in der Offenheit ihres Antwortverhaltens unterscheiden. Die Ergebnisse der Studie stützen die Annahmen der IAT. Es finden sich deutliche kriminogene Effekte einer Ökonomisierung des Sozialen. Die Resultate unterstreichen ferner die Bedeutung nichtökonomischer Institutionen für Integration und Funktionsfähigkeit von Marktgesellschaften. Кириченко В. (2009). Опрос по Гамбургскому счету: интервью с криминологом Ольгой Зигмунт/ Новая университетская жизнь, 2(043), 3. [Kiritschenko, V. (2009). Befragung auf Hamburger Rechnung: Interview mit Kriminologin Olga Siegmunt. Das neue universitäre Leben, 2(043), 3 (http://gazeta.sfu-kras.ru/files/gazeta/U_Life043(2).pdf)]. [Russisch] Зигмунт О.А. (2010). Изучить и понять: О преступности несовершеннолетних в России и Германии/ Новая университетская жизнь, 2(063), 8. [Siegmunt, O. (2010). Erforschen und Verstehen: Zur Jugendkriminalität in Russland und Deutschland. Das neue universitäre Leben, 2(064), 8 (http://gazeta.sfu-kras.ru/files/gazeta/U_Life064(2).pdf)]. [[Russisch]

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • (2009). Молодежь в Санкт-Петербурге 2008: Первые результаты опроса школьниковю. Санкт-Петербург – Гамбург.[Siegmunt, O. & Belousov, K. (2009). Jugend in St. Petersburg: Erste Ergebnisse einer Schülerbefragung. Bericht an die Bildungsbehörde der Stadt St. Petersburg. Hamburg, St. Petersburg: Universität Hamburg.] [Russisch]
    Зигмунт О.А., Белоусов К.Ю.
  • (2012). Selbstkontrolle: Einflüsse von Familie, Schule und Nachbarschaften. Eine kontrolltheoretische Studie in drei russischen Großstädten. Berlin: Wissenschaftlicher Verlag Berlin
    Siegmunt, O.
  • (2013). Was scheren mich die anderen? Marktmoral als kriminogener Faktor: Bericht zum DFG-Projekt „Jugendkriminalität in Deutschland und Russland: Kulturvergleichende Dunkelfeldstudie zur Prüfung anomie- und kontrolltheoretischer Ansätze“. Hamburg: Universität Hamburg
    Enzmann, D., Kammigan, I., Siegmunt, O. & Wetzels, P.
  • (2013). Преступники и потерпевшие от насильственных преступлений: исследование латентной преступности несовершеннолетних// Юридическая наука и правоохранительная практика. № 1(23), 106-116. Siegmunt, O. (2013). [Offenders and Victims of Violent Crime: Study to Unreported Crime of Juveniles. Law Science and Legal Practice, 23(1), 106-116.] [Russisch]
    Зигмунт О.
  • Mit Vorsicht zu genießen! Zur Aussagekraft von Kriminalstatistiken und zum Anzeigeverhalten Jugendlicher in Deutschland und Russland. Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform, 2013. 96 (6)
    Siegmunt, O.
  • (2016). Was scheren mich die anderen? Marktmoral als kriminogener Faktor: Eine Studie zu Jugenddelinquenz in Russland und Deutschland. Berlin: Wissenschaftlicher Verlag Berlin
    Enzmann, D., Kammigan, I., Siegmunt, O. & Wetzels, P.
 
 

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