Der Text der Septuaginta im frühen Christentum und ihre Rezeption in der Apokalypse (Apk)
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Die frühen Christen griffen auf die Schriften Israels zurück. Sie benützten dabei weniger deren hebräischen Text als griechische Versionen. Das vorliegende Projekt untersuchte das textgeschichtlich. Es erstellte eine Datenbank zu den neutestamentlichen Zitaten und ihren Vorlagen in den Schriften Israels; die Datenbank dokumentiert die Zitate mit Einleitungen nach den wichtigsten handschriftlichen Zeugen für Neues Testament und Septuaginta, Versionen und Vergleichstexte. Es untersuchte die sog. Vollbibeln des 4. und 5. Jh. sowie weitere wichtige Handschriften auf Verfahrensweisen der Skriptorien bei Zitaten; wichtige Erkenntnisse galten den Marginalien, namentlich dem Gebrauch der Diple, die in Handschriften ab dem 4. Jh. Zitate im Neuen Testament kennzeichnet, ohne dass deren Text zur Septuaginta abgeglichen wurde. Es verglich die frühchristlichen Zitate mit zeitgenössischen Formen der Schriftüberlieferung Israels und fand Bezüge nicht nur auf den Septuagintagrundtext, der in frühchristlichen Zeit schon Jahrhunderte alt war (das sog. Old Greek), sondern auch auf die sog. antiochenische Textform (die derzeit in der Forschung aufgewertet wird), auf die sog. kaige-Strömung, auf eine von Philo benützte Form der Septuagintaschriften um die Zeitenwende und auf Vorformen der sog. jüngeren Übersetzungen der Schriften Israels (Theodotion, Symmachus, Aquila); durch diese Vielfalt tragen die frühchristlichen Zitate erheblich zur Klärung der Textgeschichte der Septuaginta bei. Es prüfte die Textgeschichte von Septuaginta und Neuem Testament zu den Zitaten mit dem Ergebnis, dass der zitierende Text (die frühchristlichen Schriften) und die zitierten Texte (in der Regel Septuagintaschriften) unabhängiger voneinander überliefert wurden, als man früher annahm. Einflüsse der Septuaginta auf neutestamentliche Handschriften und vice versa Einflüsse des Neuen Testaments auf die Septuagintaüberlieferung betreffen immer nur einzelne Handschriften, nicht die Mehrheit der Überlieferung. Diese Beobachtungen klären eine alte Forschungsfrage: Wieweit haben sich neutestamentliche und Septuaginta-Überlieferung wechselseitig beeinflusst? Die frühere Forschung nahm umfangreiche solche Einflüsse ein. Nach den Erkenntnissen des vorliegenden Projektes ist das zu korrigieren. Wo die Editionen Einflüsse überschätzten, bedarf es deshalb einer Überprüfung von Textentscheidungen. Die neutestamentliche Apokalypse wurde in das Projekt insofern als Sonderfall einbezogen, als statt Zitaten Anspielungen zu untersuchen waren. Diese zeigten eine Vertrautheit auch des Apk-Autors mit der griechischen Schriftüberlieferung (Septuaginta und zeitgenössischen Fortentwicklungen), freilich unter gleichzeitigen besonderen Interessen an Semitismen. Gewichtig war eine Nebenerkenntnis: Die gegenwärtige kritische Edition der Apk erwies sich angesichts einer Prüfung der Handschriften als unzureichend. Ein Folgeprojekt wäre wünschenswert, das prüft, wo der Text von Zitaten (frühchristliche Schriften) / zitierten Texten (Septuaginta) aufgrund der heutigen Erkenntnisse über die Textgeschichte zu korrigieren wäre. Daneben wies die Untersuchung auf die dringliche Erfordernis einer Editio critica maior der Apk hin; die Arbeit an letzterer konnte initiiert werden und begann am 1.10.2011 mit Förderung derDFG.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- Datenbank zu den Schriftzitaten im Neuen Testament
- Das lukanische Doppelwerk als Zeuge für den LXX-Text des Jesaja-Buches. In: H. Ausloos / B. Lemmelijn / M. Vervenne Hg., Flohlegium Lovaniense: Studies in Septuagint and Textual Criticism in Honour of Florentino Garcia Martinez, BEThL 224, Leuven 2008, 253-274
M. Karrer / U. Schmid / M. Sigismund
- Die Entstehungsgeschichte der Septuaginta und das Problem ihrer maßgeblichen Textgestalt. In: M. Karrer / W. Kraus / M. Meiser Hg., Die Septuaginta - Texte, Kontexte, Lebenswelten, WUNT I 219, Tübingen 2008, 40-62
M. Karrer
- Ps 22 (MT 23): von der Septuaginta zur Eschatologisierung im frühen Christentum. In: W. Kraus / O. Munnich Hg., La Septante en Allemagne et en France. Septuaginta Deutsch und La Bible d'Alexandrie, OBO 238, Fribourg 2009, 130-148
M. Karrer
- LXX Psalm 39:7-10 in Hebrews 10:5-7. In: D.J. Human / G.J. Steyn Hg., Psalms and Hebrews. Studies in Reception, LBS 527, New York/London 2010, 126-146
M. Karrer
- Textgeschichtliche Beobachtungen zu den Zusätzen in LXX Ps 13 und 95. In: M. Karrer/M. Kraus/M. Meiser Hg., Die Septuaginta - Texte, Theologien und Einflüsse, WUNT I 252, Tübingen 2010, S. 140-161
M. Karrer / U. Schmid / M. Sigismund
- Von der Septuaginta zum Neuen Testament. Textgeschichtliche Erörterungen. ANTE 43, Berlin 2010
M. Karrer / S. Kreuzer / M. Sigismund Hg.
- Die Johannesoffenbarung. Ihr Text und ihre Auslegung. ABG 38, Leipzig 2012
M. Labahn / M. Karrer Hg.