Historische Forschung, Lehre und Geschichtsschreibung an der Humboldt-Universität zu Berlin in der SBZ/DDR zwischen 1945 und 1968
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Die Geschichtswissenschaft der Berliner (Humboldt-)Universität (HU) war nach 1945 eine der zentralen Institutionen für die Entwicklung und Propagierung eines neuen nationalen und kommunistischen Geschichtsbildes der DDR. Die Universität diente als Hauptausbildungsstätte für zukünftige Fachhistoriker und Geschichtslehrer. Als Institution historischer Forschung und Entstehungsort zahlreicher Geschichtsdarstellungen erarbeitete sich die „Fachrichtung Geschichte" bis in die 1960er Jahre ein eigenständiges Profil. Die leitende Fragstellung der Untersuchung richtet sich auf die Kontinuität der nach 1945 neu entstehenden, marxistischen Historie zur älteren deutschen Disziplin, die von Zeitgenossen treffend die „bürgerliche Geschichtswissenschaft" genannt wurde. Diese Perspektive schließt die eingehende Darstellung der innerfachlichen Zäsuren nach 1945 und im Laufe der Entwicklung bis 1968 ein. Die zentrale Figur für die Etablierung einer neuen, marxistischen Historie an der HU war der kommunistische Remigrant Alfred Meusel. Er sorgte im Zusammenwirken mit der SED-Hochschulpolitik vor allem im Bereich der Neuzeithistorie für den Aufbau einer regimetreuen „Normalwissenschaft" (Martin Sabrow). Auf der Ebene des Allgemeinen wurden durchgreifende Innovationen dadurch unmöglich, denn hier waren die Historiker als SED-Mitglieder dem Historischen Materialismus verpflichtet. Zu den überraschenden Befunden des Projekts gehören allerdings wichtige Differenzierungen in Einzelfällen. Meusels Idealvorstellung war eine Synthese aus bürgerlicher Professionalität und marxistischer Parteilichkeit. Im Bereich von quellengestützten Forschungen blieben für die HU-Historiker daher Neuerkenntnisse durchaus möglich. Sie akzeptierten zudem nicht in jedem Fall die offizielle SED-Politik und waren in den Krisenzeiten der DDR durchaus zu Kritik bereit. Zudem gab es im Bereich der Mittelalter-Historie und der Alten Geschichte durchaus Ansätze, auch den „Monotheismus der Theorie" zu brechen. Der Mediävist Eckhard Müller-Mertens sorgte mit seinem sog. „materialistischen Historismus" sogar für eine breite Fortsetzung der Arbeiten seines bürgerlichen Berliner Lehrers Fritz Rörig. Da sich Müller-Mertens seinen anfänglichen Freiraum mit einem explizit stalinistischen Ansatz erfochten hatte, zeigen die Ergebnisse des Forschungsprojektes, dass Kontinuität und Neuaufbau sich stellenweise nicht ausschlossen und einander sogar bedingen konnten.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- Rezension von: Ulrich Pfeil (Hg.): Die Rückkehr der deutschen Geschichtswissenschaft in die "Ökumene der Historiker". Ein wissenschaftsgeschichtlicher Ansatz, München 2008, in: sehepunkte 9 (2009), Nr. 10
Alexander Thomas
- „Mir kamen stets die Historiker lächerlich vor, die sich über Geschichte beschweren". Interview mit Kurt Pätzold, in: Alexander Schug/Cornelia Siebeck/Alexander Thomas (Hg.), Verlorene Zeiten? DDR-Lebensgeschichten im Rückblick, Berlin 2010
Alexander Thomas