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Lutherische Orthodoxie revisited. Konfessionelle Muster zwischen Identitätsverpflichtung und "Weltoffenheit"

Antragsteller Dr. Sascha Salatowsky
Fachliche Zuordnung Evangelische Theologie
Förderung Förderung von 2016 bis 2020
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 319066481
 
Erstellungsjahr 2019

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Das Netzwerk hatte sich eine Neubewertung des Begriffs „lutherische Orthodoxie“ zum Ziel gesetzt. Ausgehend von den Forschungsdebatten der letzten Jahrzehnte, die weiterhin ein uneinheitliches Bild dieser Konfession zeichnen, sollte im Netzwerk die Frage nach der Reichweite und Sinnhaftigkeit dieses Begriffs im Blick sowohl auf die Verwendung als Epochenkategorie als auch als Bezeichnung für eine bestimmte Gestalt religiöser Prägung, die eine doch sehr heterogene Gruppe umfasste, kritisch geprüft werden. Mit dem von Thomas Kaufmann entwickelten Konzept der lutherischen Konfessionskultur stand dem Netzwerk ein aktueller Forschungsansatz zur Verfügung, der als Ausgangspunkt der Überlegungen dienen konnte. Die Ausgangsfrage lautete daher, in welcher Weise sich der Begriff „lutherische Orthodoxie“ dazu eignet, eine bestimmte Gestalt der lutherischen Konfession in ihren Spannungen zwischen Identität und Differenz, Beharrlichkeit und Wandelbarkeit der Institutionen, unterschiedlichen Selbst- und Fremdwahrnehmungen, dogmatischen und religiös-lebensweltlichen Propria auf der einen Seite und sich wandelnden historischen Bedingungen auf der anderen Seite zu beschreiben. Für die Bewältigung dieser komplexen Fragestellung wurde mit Mitwirkenden aus Deutschland, Holland sowie den skandinavischen und baltischen Ländern mit den entsprechenden Kompetenzen aus den Disziplinen der Kirchen- und Philosophiegeschichte, Profangeschichte, Musik- und Kunstwissenschaften und Germanistik ein bewusst internationaler und interdisziplinärer Zugang gewählt. Auf diese Weise sollte die von einer Disziplin allein nicht zu leistende Erforschung des Luthertums weiter profiliert werden. Das Netzwerk kam im Rahmen eines umfassenden Revisionsprozesses zu einer begrifflichen Neufassung des Zugriffs, der von der historiographisch engführenden Kategorie der lutherischen Orthodoxie über die lutherische Konfessionskultur hin zum heuristisch offeneren Begriff des frühneuzeitlichen Luthertums führte. Entscheidend hierfür waren Überlegungen, inwieweit diese in der Forschung diskutierten Begriffe geeignet sind, die lutherische Konfession in ihrer Pluralität, aber auch in ihren Propria sowie den mit anderen Konfessionen geteilten Grundansichten und Praktiken darzustellen. Nach unserer Meinung entbindet der Begriff „frühneuzeitliches Luthertum“ von der Last, als „ungeliebter“ Epochenbegriff zwischen Reformation, Pietismus und Aufklärung dienen zu müssen. Er befreit zum andern von der negativen Konnotation des Begriffs Orthodoxie, der eine Uniformität und Strenge (mit einer entsprechenden polemischen Grundhaltung) suggeriert, die der Pluralität und Offenheit des frühneuzeitlichen Luthertums – auch gegenüber den anderen Konfessionen – entgegenstehen. Vielmehr zeigt sich sein integrativer Charakter, der bei klar definierten Grund- und Eckpfeilern auf Basis der Identitätsmarke Confessio Augustana verschiedene Positionen inkorporieren und gewisse Varianzen in der sozialen, kulturellen, politischen, ja, sogar religiösen Praxis zulassen konnte. Binnenkonfessionelle Abgrenzungen und Auseinandersetzungen präsentierten sich dabei weitgehend im Rahmen des gelehrten Diskurses, in der es um die Konstruktion gemeinsamer Grundlagen ging. Inwiefern und ggf. inwieweit Polemik und Apologetik wirklich identitätsbildend wirkten, bleibt weiterer Forschung ebenso vorbehalten wie die Frage nach dem Konkurrenzbegriff, der als nützliche Kategorie für die Analyse dogmatischer und praktischer Phänomene im Sinne von konfessionellen Distinktionen, Konstruktionen und Austauschprozessen dienen könnte. Der in Vorbereitung befindliche Sammelband mit den Ergebnissen des Netzwerks wie auch der geplante Arbeitskreis „Frühneuzeitliche Konfessionskulturen“ werden diese Aspekte weiter beleuchten.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • Bach und die Weimarer Herzöge. Ernestinische Musikpatronage im 18. Jahrhundert, in: Siegrid Westphal, Hans-Werner Hahn und Georg Schmidt (Hgg.): Die Welt der Ernestiner. Ein Lesebuch. Köln u.a. 2016, 80–88
    Schmidt, Beate
    (Siehe online unter https://doi.org/10.7788/9783412506346-010)
  • Bevorzugte Formen der evangelischen Spiritualität im deutschen Sprachraum im 17. Jahrhundert, in: Peter Zimmerling (Hg.): Evangelische Spiritualität. Bd. 1: Geschichte. Göttingen 2017, 299–319
    Kamp, Jan van de
    (Siehe online unter https://doi.org/10.13109/9783666567193.299)
  • Gelehrtenkultur und Reformationsgedenken 1617 am Beispiel der ernestinischen Herzogtümer. Formen, Kontexte und dynamische Prozesse, in: Markus Friedrich, Sascha Salatowsky und Luise Schorn-Schütte (Hgg.): Konfession, Politik und Gelehrsamkeit. Der Jenaer Theologe Johann Gerhard (1582–1637) im Kontext seiner Zeit. Stuttgart 2017, 177–223
    Gehrt, Daniel
  • Gerhard (un)seen from Copenhagen? Danish absolutism and the relation between State and Church, in: Markus Friedrich, Sascha Salatowsky und Luise Schorn- Schütte (Hgg.): Konfession, Politik und Gelehrsamkeit. Der Jenaer Theologe Johann Gerhard (1582–1637) im Kontext seiner Zeit. Stuttgart 2017, 113–131
    Haga, Joar
  • Johann Gerhards Anteil am ernestinischen Bibelwerk, in: Markus Friedrich, Sascha Salatowsky, Luise Schorn-Schütte (Hgg.): Konfession, Politik und Gelehrsamkeit. Der Jenaer Theologe Johann Gerhard (1582–1637) im Kontext seiner Zeit. Stuttgart 2017, 163–176
    Michel, Stefan
  • Lay prophets in Lutheran Europe (c. 1550–1700). Leiden 2017
    Beyer, Jürgen
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1163/9789004318168)
  • Melanchthons Gutachten, in: Günter Frank (Hg.): Philipp Melanchthon. Der Reformator zwischen Glauben und Wissen. Ein Handbuch. Berlin u.a. 2017, 295–301
    Voigt-Goy, Christopher
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1515/9783110335804-022)
  • Von einem „christlichen gesprech“ zur Allianz. Aspekte des kommunikativen Austausches zwischen Johann Gerhard und Christine von Sachsen-Eisenach, in: Markus Friedrich, Sascha Salatowsky, Luise Schorn-Schütte (Hgg.): Konfession, Politik und Gelehrsamkeit: Der Jenaer Theologe Johann Gerhard (1582–1637) im Kontext seiner Zeit. Stuttgart 2017, 69–92
    Carius, Hendrikje
  • Controversia et Confessio, Bd. 5: Der Synergistische Streit (1555– 1564), hg. von Irene Dingel, bearbeitet von Kęstutis Daugirdas, Jan Martin Lies, Hans-Otto Schneider. Göttingen 2019
    Daugirdas, Kęstutis
  • Das Christentum als „bekennende Religion“. Kursorische Überlegungen zu Formen und Formeln christlicher Bekenntnisse, in: Christine Bischoff, Carsten Juwig und Lena Sommer (Hgg.): Bekenntnisse. Formen und Formeln. Berlin 2019, 37–66
    Witt, Christian V.
    (Siehe online unter https://doi.org/10.5771/9783496030171-37)
  • Die ,Religio‘ des Théodore de Bèze in Wittenberg. Unwahrscheinliche Gleichzeitigkeiten in Wort und Bild nach Luthers Zeiten, in: Uwe Fleckner und Elena Tolstichin (Hgg.): Das verirrte Kunstwerk. Bedeutung, Funktion und Manipulation von ,Bilderfahrzeugen‘ in der Diaspora. Berlin 2019, 179–199
    Tolstichin, Elena
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1515/9783110545685-011)
  • Schule als konfessioneller Resonanzraum? Der Ethikunterricht an protestantischen Schulen als Beispiel religiöser Orientierung, in: Christine Freytag und Sascha Salatowsky (Hgg.): Frühneuzeitliche Bildungssysteme im interkonfessionellen Vergleich. Inhalte – Infrastrukturen – Praktiken. Stuttgart 2019, 77–116
    Salatowsky, Sascha
  • Veit Ludwig von Seckendorff und die Rezeption der Gothaer Schulreformen, in: Christine Freytag und Sascha Salatowsky (Hgg.): Frühneuzeitliche Bildungssysteme im interkonfessionellen Vergleich. Inhalte – Infrastrukturen – Praktiken. Stuttgart 2019, 189–211
    Töpfer, Thomas
 
 

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