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religion@home? Religionsbezogene Online-Plattformen und ihre Nutzung. Eine Untersuchung zu neuen Formen gegenwärtiger Religiosität
Antragstellerin
Professorin Dr. Anna Neumaier
Fachliche Zuordnung
Religionswissenschaft und Judaistik
Förderung
Förderung in 2016
Projektkennung
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 289752855
Der gegenwärtige Wandel von Religion wurde in den Geistes- und Sozialwissenschaften der letzten Jahre viel diskutiert. Medien als Faktor oder Ort eines solchen religiösen Wandels wurden dabei allerdings im Vergleich zu ihrer Relevanz für individuelle Lebensführung recht wenig berücksichtigt. Die vorliegende Studie hat sich diesem Thema mit Blick auf religiöse Internet-Angebote gewidmet, und die grundlegende Frage nach der Bedeutung dieser medialen Angebote für religiöse Zugehörigkeit und Überzeugungen gestellt. Unter Rückgriff auf religionssoziologische, -historische und medienwissenschaftliche Ansätze betrachtet sie dabei nicht nur christliche, deutschsprachige Online-Foren, ihr liegen vielmehr auch qualitative Interviews und eine statistische Erhebung unter den NutzerInnen dieser Foren zugrunde.Die Ergebnisse der Studie können auf zwei Abstraktionsstufen skizziert werden. Auf der ersten Ebene wurden vier idealtypische Muster der Internetnutzung erarbeitet, in denen die Internetnutzung teils Ersatz, teils Ergänzung für religiöse Offline-Verortung in traditionellen Gemeinden ist. Allen vier Mustern ist aber gemein, dass der Hauptgrund für die Online-Nutzung nicht in den medialen Eigenschaften des Internets liegt, sondern vielmehr "Mangelerzählungen" das Interviewmaterial prägen, in denen Probleme mit der Gemeinde vor Ort bzw. Kirche insgesamt ausgeführt werden. Die Internetnutzung lässt sich damit auf einer zweiten Ebene als Strategie verstehen, die auf Mängel der religiösen Offline-Infrastruktur reagiert. Die Studie konnte hier zeigen, dass die Internetnutzung bei den betreffenden NutzerInnen weniger als Ausdruck eines Bedürfnisses nach religiöser Neuorientierung zu verstehen ist, sondern vielmehr bestehende, traditionelle religiöse Überzeugungen in Phasen der Verunsicherung bestärken soll. Diese Restabilisierung individueller Religiosität erfolgt, indem sich die NutzerInnen einerseits online wieder in eine religiöse Gemeinschaft einbetten und ihre Überzeugungen so kollektiv legitimieren, andererseits erarbeiten sie sich im Online-Austausch eigenes religionsbezogenes Wissen und zugehörige Argumentationskompetenzen, und damit letztlich eine autonome, von lokalen Strukturen unabhängige Religiosität.Die Forschungsergebnisse reichen damit über das konkrete Feld hinaus und werden mit Blick auf breitere Debatten über Veränderungen von Religion und Religiosität in der Gegenwart, die Transformation religiöser Gemeinschaftlichkeit und Autonomisierung religiöser Identitäten diskutiert. Dabei wird deutlich, dass eine Ablösung aus traditionellen kirchlichen Strukturen für die Online-NutzerInnen unumgänglich erscheint, aber die daraus folgende Freiheit in der Wahl religiöser Zugehörigkeit und Überzeugungen nicht, wie häufig angenommen, als Chance begriffen wird, sondern den NutzerInnen vielmehr als Gefahr gilt. Online-Angebote werden hier zu zentralen alternativen Anlaufstellen, die das religiöse Feld auch zukünftig nachhaltig prägen werden.
DFG-Verfahren
Publikationsbeihilfen