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Täterschaft und Narration: Das Paradigma der griechischen Nachkriegsprosa in komparatistischer Perspektive

Fachliche Zuordnung Europäische und Amerikanische Literatur- und Kulturwissenschaften
Allgemeine und vergleichende Literaturwissenschaft; Kulturwissenschaft
Förderung Förderung von 2014 bis 2021
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 269394822
 
Erstellungsjahr 2020

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Das Projekt generierte auf Grundlage eines Korpus griechischer Nachkriegsprosa über die konfliktreichen1940er Jahre (deutsche Besatzung, Widerstand und Kollaboration, Bürgerkrieg) und eines Unterkorpus deutscher Literatur über die deutsche Besatzung Griechenlands unter Berücksichtigung historischer und sozialpsychologischer Täterforschung eine historisch perspektivierte Typologisierung von Gewaltakteuren und Gewaltsituationen. Es machte Parallelen und Differenzen im erinnerungskulturellen Umgang mit negativer Geschichtserfahrung im Kontext eines dominanten Opfer- bzw. Täterdiskurses sichtbar. Acht verschiedene, wiederkehrende Tätertypen wurden in den Texten lokalisiert, die unabhängig von der nationalen, generationellen oder ideologischen Zugehörigkeit der Autoren spezifische narrative Funktionen einnehmen. Durch Kombination verschiedener Tätertypen werden Figuren umso komplexer profiliert. Polyvalente, ‚innovative‘ Texte sind figural perspektiviert, stellen differenzierte Täterprofile her und rücken mentale Prozesse, Bewusstwerdung eigener Täterschaft der Figuren sowie damit einhergehende Tätertraumata in den Fokus. Schematische, ‚konventionelle‘ Texte sind narratorial perspektiviert und nehmen simplifizierende, stereotype Täter- und Opferzuschreibungen vor. Ideologisch motivierte Autoren der Erlebnisgeneration oder der Generation 1.5 bedienen das narrative Schema der Sakralisierung eines stilisierten heroischen Opfers und der Dämonisierung eines stigmatisierten ‚bösen Anderen‘ als Täter, um einerseits auf Verschwiegenes hinzuweisen und andererseits, um Opferstatus für die eigene Erinnerungsgemeinschaft zu reklamieren. Besonders in linksperspektivierter Widerstandsliteratur manifestieren sich implizite, nicht-intentionale Täterdiskurse: Gewalt und Täterschaft wird unhinterfragt legitimiert und positiv besetzt, sobald sie sich etwa gegen servile Diener der Deutschen richtet. Texte aus postmemorialer Perspektive der Generation der Nachgeborenen wirken an der Enttabuisierung von Verdrängtem (Terror des linken Lagers, Kollaboration, Mitverantwortung für die Deportation der griechischen Juden) mit und potenzieren durch eine simulierte Faktualität (Imitation realhistorischer Dokumente, Narrativierung von fotografischem Material) die erinnerungskulturelle Wirkung von Täter(schafts)diskursen. In den untersuchten deutschen Texten wird Besatzungsterror explizit dargestellt – auch wenn sich punktuell verdeckte Selbstviktimisierung dahinter verbirgt. In den griechischen Texten ist deutsche Täterschaft auf ‚zweiter Stufe‘ präsent: Die negativ konnotierten nationalsozialistischen Besatzer werden mit dem politischen Gegner verglichen, um ihn moralisch zu diskreditieren. Täterschaft bildet dabei das tertium comparationis, das gemeinsame Merkmal der Vergleichsobjekte. Fiktionale Täterschaftrepräsentationen stabilisieren, destabilisieren oder irritieren den dominanten öffentlichen Diskurs. Eine historisch eindeutige Unterscheidung zwischen Opfern und Tätern und ein dominanter öffentlicher Täterdiskurs begünstigten im deutschen literarischen Diskurs latente Viktimisierungstendenzen, die unter den manifesten Täterschaftsrepräsentationen an die Textoberfläche treten. Eine unübersichtliche historische Konstellation und ideologische Polarisierung in Griechenland ließen eindeutige Täter- und Opferzuschreibungen nicht zu, es dominierte aber ein öffentlicher Opferdiskurs. Auf diese erinnerungskulturelle Konstante reagierte der literarische Diskurs mit facettenreichen fiktionalen Täterschaftsrepräsentationen.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • ‘…als er wegfuhr von Kreta, dachte er nicht mehr an Homer-Verse, sondern an ein kretisches Bergdorf!‘ Täterschaft und Narration am Beispiel von Egon Günthers Roman Der Kretische Krieg“, in: Elke Sturm-Trigonakis / Evi Petropoulou / Katerina Karakassi / Georg Perperidis / Olga Laskaridou (Hg.): Turns und kein Ende: Aktuelle Tendenzen in Germanistik und Komparatistik. Frankfurt a.M. 2017, S. 363-376
    Athanasios Anastasiadis
  • ‘Je nach Schwere der zu sühnenden Tat sind folgende Maßnahmen zu ergreifen:‘ Zur Darstellung nationalsozialistischer Gewalt gegen Griechenland in der Landserliteratur und deutschen Nachkriegsprosa“, in: Dagmar von Hoff / Brigitte Jirku / Lena Wetenkamp (Hg.): Literarisierungen von Gewalt. Beiträge zur deutschsprachigen Literatur. Berlin [u.a.] 2018, S. 97-116
    Athanasios Anastasiadis
 
 

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