Legendarisches Erzählen im Mittelalter. Formen, Funktionen und Kontexte der deutschsprachigen Heiligenerzählung
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Legenden gelten gemeinhin als Schemaliteratur, die mit einem begrenzten Arsenal an Erzählbausteinen das Leben heiliger Personen darstellt. Dabei verfügt die mittelalterliche Hagiographie über eine Vielzahl an Möglichkeiten des Erzählens von Heiligkeit. Diese Pluralität und Variabilität der im Mittelalter existierenden Möglichkeiten nahm das Netzwerk in den Blick. Im Rahmen einer kollaborativen Monographie wurden Spezifika des legendarischen Erzählens als ein Wechselverhältnis von variablen Heiligkeitsentwürfen und flexiblen religiösen Funktionalisierungen beschrieben. Den Ausgangspunkt bildeten die deutschsprachigen Heiligenerzählungen des Mittelalters, doch eröffneten sich im Horizont der lateinischen Vorlagen Perspektiven auf langwellige Prozesse der Genese und Transformation von Heiligkeitsmodellen seit der Spätantike. Die Vielgestaltigkeit legendarischen Erzählens ließ sich somit auf die historische Schichtung von Möglichkeiten zurückführen, Heiligkeit darzustellen. Dies wurde in systematischer und historisch kontextualisierender Perspektive anhand von exemplarischen Fallstudien entwickelt, in denen Legenden stets im Zusammenhang ihrer Traditionen betrachtet und Versionen in Textreihen über längere oder kürzere historische und räumliche Distanzen miteinander verglichen wurden. Die einzelnen Studien widmen sich den konzeptionellen Voraussetzungen der Heiligenerzählung, der Genese von Heiligkeitsmodellen (wie Apostolizität, Martyrium oder Jungfräulichkeit) in der formativen Phase der Spätantike sowie den Situationen und Funktionen legendarischen Erzählens in seinen historischen Transformationen. Auf diese Weise wurde erschlossen, welche unterschiedlichen narrativen Optionen (im Sinne von Mustern und Topoi) im legendarischen Erzählen Verwendung finden, die im Zuge ihrer Verfestigung zu Signaturen und Elementen von Heiligkeitsmodellen wurden. In ihrer Aktualisierbarkeit bleiben diese Optionen flexibel, so dass sie gleichermaßen kulturell verbindlich wie auch unterschiedlich rekombinierbar sind. Mit diesem Ansatz legt das Netzwerk ein methodisches Angebot für künftige Arbeiten zum legendarischen Erzählen vor, um dessen charakteristische Vielfalt weiter zu erschließen.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- Das Heilige verstehen, erfahren und erkennen. Die spätmittelalterliche Legende Christophorus C im Überlieferungskontext, in: Scholary Editing and German Literature. Revision, Revaluation, Edition, hg. v. Lydia Jones, Bodo Plachta, Gaby Pailer und Catherine Karen Roy, Leiden/ Boston 2016 (Amsterdamer Beiträge zur neueren Germanistik 86), S. 23-36
Johannes Traulsen
(Siehe online unter https://doi.org/10.1163/9789004305472_003) - Die Geburt des Purgatoriums im Medium legendarischen Erzählens, in: Orte der Imagination – Räume des Affekts. Die mediale Formierung des Sakralen, hg. v. Elke Koch/ Heike Schlie, München 2016, S. 389-402
Maximilian Benz
(Siehe online unter https://doi.org/10.30965/9783846759554_018) - Heiligkeit als Ambiguitätskategorie. Zur Konstruktion von Heiligkeit in der mittelalterlichen Literatur, in: Ambiguität im Mittelalter. Formen zeitgenössischer Reflexion und interdisziplinärer Rezeption, hg. v. Christiane Witthöft/ Oliver Auge, Berlin/ Boston 2016 (Trends in Medieval Philology 30), S. 157-178
Andreas Hammer
(Siehe online unter https://doi.org/10.1515/9783110435344-007) - Legende. In: Handbuch Literatur und Religion, hg. v. Daniel Weidner, Stuttgart 2016, S. 245-249
Elke Koch
- Heiligkeit und Gemeinschaft. Studien zur Rezeption spätantiker Asketenlegenden im Väterbuch. Berlin/Boston 2017 (Hermea N.F. 143)
Johannes Traulsen
(Siehe online unter https://doi.org/10.1515/9783110525809) - A Staggering Vision. The Mediating Animal in the Textual Tradition of Saint Eustachius, in: Interfaces 5 (2018), S. 31-48
Elke Koch
(Siehe online unter https://doi.org/10.13130/interfaces-05-04) - (2019) Legendarisches Erzählen: Optionen und Modelle in Spätantike und Mittelalter, Berlin (Philologische Studien und Quellen 273)
Julia Weitbrecht/ Maximilian Benz/ Andreas Hammer/ Elke Koch/ Nina Nowakowski/ Stephanie Seidl/ Johannes Traulsen
- (2019): Fülle durch Mangel. Logiken des Verzichts und die Modellierung von Herrscherheiligkeit in der mittelalterlichen Oswaldlegendarik“, in: Heiligkeiten. Konstruktionen, Funktionen und Transfer von Heiligkeitskonzepten im europäischen Früh- und Hochmittelalter, hg. v. Andreas Bihrer/ Fiona Fritz, Stuttgart (Beiträge zur Hagiographie 21), S. 157-173
Julia Weitbrecht
- Honicmæziu mære. Zur Welthaltigkeit legendarischen Erzählens bei Rudolf von Ems und Reinbot von Durne, in: Die Versuchung der schönen Form. Spannungen in ‚Erbauungs‘-Konzepten des Mittelalters, hg. v. Susanne Köbele/ Claudio Notz, Göttingen (Historische Semantik 30), S. 245-266
Maximilian Benz/ Julia Weitbrecht
- Jungfrau und Mönch. Askese und Geschlecht in Crossdressing-Legenden des Mittelalters, in: Gender Studies – Queer Studies – Intersektionalität. Eine Zwischenbilanz aus mediävistischer Perspektive, hg. v. Ingrid Bennewitz/ Jutta Eming/ Johannes Traulsen, Göttingen 2019 (BMFF 25), S. 227-242
Johannes Traulsen
(Siehe online unter https://doi.org/10.14220/9783737010627.227)