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"Fairness-Präferenzen". Begrifflich-theoretische Hintergründe der Deutung von Betroffenenurteilen zur medizinischen Ressourcenallokation.

Fachliche Zuordnung Praktische Philosophie
Förderung Förderung von 2007 bis 2015
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 15070313
 
Erstellungsjahr 2015

Zusammenfassung der Projektergebnisse

In der Debatte über die Allokation medizinischer Ressourcen wird national wie international überwiegend ein multikriterialer Ansatz vertreten, d. h. man hält es für richtig, ein aggregierendes, nutzenmaximierendes riterium (Effizienz, kosteneffektivität, „goodness“) mit anderen, insbesondere „fairness“-bezogenen Kriterien zu kombinieren. Wesentliches grundlagentheoretisches Ergebnis der Arbeit der Antragsstellerin ist die anhand einer Detailkritik zentraler aggregationistischer Theoreme durchgeführte Begründung der Unhaltbarkeit des aggregativen Konsequentialismus und damit des herkömmlichen begrifflichen Rahmens der herrschenden wohlfahrtsökonomischen Fundierung des Effizienzkriteriums. Der Versuch, die Forderung nach gerechter Ressourcenverteilung zu integrieren, sprengt die begrifflichen Möglichkeiten dieses Ansatzes, weil gerechtes Verteilen weder als Maximierungsaufgabe noch als Teil einer Maximierungsaufgabe rekonstruierbar ist. Wesentliches praktisches Resultat für die Priorisierungsdiskussion ist die Stützung herkömmlicher, ihrer begrifflichen Basis nach nonkonsequentialistischer Orientierungen des medizinischen und bürgerschaftlichen Ethos im Umgang mit knappen Ressourcen. Im medizinisch-standesethischen und im juristischen Diskurs werden diese Orientierungen bislang in wesentlichen Punkten nicht ausreichend klar auf den Begriff gebracht und entgegenstehenden ökonomischen Empfehlungen zur Mittelverteilung nicht konsequent genug entgegengesetzt. Seit den 90er Jahren verstärken sich innerhalb der gesundheitsökonomischen Literatur Versuche, die Fairness-Frage nicht anderen Disziplinen zur Lösung zu überlassen, sondern sie auf dem Wege einer fairnessorientiert unterschiedlichen Gewichtung von Einheiten des Gesundheitsnutzens (QALYs) in die klassischen, gesundheitsnutzenmaximierenden Modelle zu integrieren. Die Studie der Mitarbeiterin leistet eine Detailkritik dieser Versuche im Sinne der von der Antragstellerin entwickelten grundlagentheoretischen Thesen. Zusätzlich enthält die Arbeit eine ausführliche dogmenhistorische Schilderung der Genese der betrachteten Ansätze. Sie beruhen auf einer Übertragung von ökonomischen Verhaltensmodellen, die ursprünglich für die Analyse von privaten Konsumentscheidungen entwickelt wurden, auf amtliche Verteilungsentscheidungen – die nicht dem Konsum der Entscheider dienen. Die Einbettung des angewandten Themas in die wirtschaftswissenschaftliche Ideengeschichte ist ein wichtiger Beitrag zur Forschung, dessen bisheriges Fehlen in der Literatur explizit bemängelt worden ist.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • (2010). Medizinische Ressourcenallokation und die Produktivität der Volkswirtschaft. In: Zeitschrift für Wirtschaftspolitik, 3 (59), 275-283
    Lübbe, W.
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1515/zfwp-2010-0305)
  • (2010). QALYs, Zahlungsbereitschaft und implizite Lebenswert-Urteile. In welchen Kategorien begreifen wir das öffentliche Gesundheitswesen? In: Zeitschrift für Evidenz, Fortbildung und Qualität im Gesundheitswesen, 3 (104), 202-208
    Lübbe, W.
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1016/j.zefq.2010.03.005)
  • (2010). Sollte sich das IQWiG auf indikationsübergreifende Kosten-Nutzen-Bewertungen mittels des QALY-Konzepts einlassen? In: Deutsche Medizinische Wochenschrift, 135, 582-595
    Lübbe, W.
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1055/s-0030-1249215)
  • (2011). QALYs und Gerechtigkeit: Ansätze und Probleme einer gesundheitsökonomischen Lösung der Fairnessproblematik. In: Das Gesundheitswesen, 10, 688-695
    Klonschinski, A., Lübbe, W.
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1055/s-0030-1270468)
  • (2011). Sondervotum. In: Deutscher Ethikrat Berlin (Hrsg.): Nutzen und Kosten im Gesundheitswesen – Zur normativen Funktion ihrer Bewertung, Stellungnahme. Berlin, 98-124
    Lübbe, W.
    (Siehe online unter https://doi.org/10.4126/38m-005220505)
  • (2012). Kosteneffizienz als Rationierungskriterium? In: Dabrowski, M., Wolf, J., Abmeier, K. (Hrsg.), Gesundheitssystem und Gerechtigkeit. Paderborn: Schöningh, 93-102
    Klonschinski, A.
    (Siehe online unter https://doi.org/10.30965/9783657775347_007)
  • (2013). Das Aggregationsproblem: Grundlagentheoretische Überlegungen zur Güterabwägung in Notstandslagen. In: Hirsch von, A., Neumann, U., Seelmann, K. (Hrsg.), Solidarität im Strafrecht. Baden-Baden: Nomos, 201-213
    Lübbe, W.
    (Siehe online unter https://doi.org/10.5771/9783845246277-201)
  • (2013). Das Kosten-Nutzen Verhältnis als Priorisierungskriterium? Eine philosophisch-dogmenhistorische Betrachtung des ökonomischen Paradigmas der Wertmaximierung. In: Schmitz-Luhn, B., Bohmeier, A. (Hrsg.), Priorisierung in der Medizin: Kriterien im Dialog. Berlin: Springer, 79-107
    Klonschinski, A.
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1007/978-3-642-35448-9_7)
  • (2013). Kein empirischer Weg zu Priorisierungstabellen – Kritische Anmerkungen zur Idee, "Bewertungsdimensionen" im Rückgriff auf "Stakeholder-Präferenzen" zu gewichten. In: Schmitz-Luhn, B., Bohmeier, A. (Hrsg.), Priorisierung in der Medizin. Berlin: Springer, 245-256
    Lübbe, W.
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1007/978-3-642-35448-9_20)
  • (2014). Economic Imperialism in Health Care Resource Allocation - How can Equity Considerations be incorporated in Cost-Utility Analysis? In: Journal of Economic Methodology, 21 (2), 158-174
    Klonschinski, A.
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1080/1350178X.2014.906640)
 
 

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