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Prekärer Ruhestand. Arbeit und Lebensführung von Frauen im Alter

Antragstellerin Professorin Dr. Irene Götz
Fachliche Zuordnung Ethnologie und Europäische Ethnologie
Förderung Förderung von 2014 bis 2019
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 262973838
 
Erstellungsjahr 2019

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Die Ursachen für das deutliche Übergewicht an weiblichen Altersarmen liegen in dem an der männlichen „Normalerwerbsbiografie“ ausgerichteten Erwerbsarbeits- und Rentensystem. Auch wenn die spezifisch weiblichen Gefährdungen im Alter seit Langem bekannt sind, so gibt es kaum Studien, die in die Fragilitäten alltäglicher Lebensführung von Rentnerinnen hineinleuchten. Wie leben und wirtschaften Frauen in einer teuren Stadt wie München, wenn die durchschnittliche Erwerbsrente kaum für die Finanzierung einer Einzimmerwohnung reicht? Anhand von biografischen Interviews und teilnehmender Beobachtungen wurde im Rahmen des DFG-Projekts herausgearbeitet, wie allein lebende Frauen im städtischen Umfeld leben und wirtschaften. Das Gros der interviewten Frauen war zum Zeitpunkt der Interviews in den Jahren 2013 bis 2017 zwischen 60 und 75 Jahre alt. Die meisten hatten nur um die 1000 Euro im Monat zur Verfügung und konnten kaum auf Ersparnisse oder private Vorsorge zurückgreifen. Die Interviewten verweisen auf Praktiken und Haltungen, mit denen materiellem Mangel begegnet wird. Dabei zeigte die Analyse, dass die jeweilige Stellung im sozialen Raum mit entsprechend unterschiedlichen Zusammensetzungen von sozialem und kulturellem Kapital (Bourdieu) genauso entscheidend sind für die Entstehung, aber auch Bewältigung von ökonomischem Mangel wie die genderspezifischen und generationalen Dispositionen. Entscheidend war, inwieweit es den Interviewten auch gesundheitlich (noch) möglich war, mit den begrenzten Ressourcen hauszuhalten, zu sparen, genau vorauszuplanen, die Bestände (sofern überhaupt vorhanden) zu schonen und einzuteilen. Neben dieser nachhaltigen Reproduktion in Knappheit findet gelegentlich auch Produktion, etwa von Tauschartikeln für eine informelle Ökonomie, statt. Allerdings zeigen sich hier bei den Möglichkeiten, einen Kleidertausch zu organisieren oder Do-it-yourself-Geschenke herzustellen, die sozialen Unterschiede. Erwerbsarbeit zur Vergrößerung der materiellen Ressourcen und sozialen Netzwerke ist nur bedingt über das Rentenalter hinaus möglich. Altersarmut bleibt ein großes Tabu, Scham und Schuldgefühle, nicht selbst für sich gesorgt zu haben, verhindern vielfach, dass sich die Älteren Hilfe bei den Ämtern holen. Insbesondere auch ihren Familien wollen Betroffene „nicht zur Last fallen“. Hier greift ein einschlägiger öffentlicher Moraldiskurs von der „Altenlast“. In den Interviews zeigten sich Frauen, die trotz ihrer Vulnerabilität und situativer Deprimiertheit und Sorge – wenn wieder eine Mieterhöhung kam oder der Minijob nicht mehr zu bewältigen war – doch auch Zufriedenheit und Anpassungsstrategien an das Alter entwickelt haben. Insgesamt machen es die biografischen Interviews plastisch: Rentenalter, Arbeiter- und Migrationshintergrund, weibliches Geschlecht sowie Singlehaushalte können als besonders armutsgefährdende Faktoren gelten, auch wenn Frauen aus dem Bürgertum prinzipiell nicht verschont bleiben.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • (2016): Präventive Vermeidung von Altersarmut. In: Stefan Pohlmann (Hg.): Alter und Prävention, Wiesbaden: Springer, S. 85-104
    Götz, Irene; Lehnert, Kathrin
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1007/978-3-658-11991-1_4)
  • (2017): Alter(n) und Geschlecht im Spiegel feministischer Kapitalismuskritik. Eine prekarisierungstheoretische Analyse. In: Denninger, Tina; Schütze, Lea (Hg.): Alter(n) und Geschlecht. Neuverhandlungen eines sozialen Zusammenhangs. Münster: Westfälisches Dampfboot, S. 71-89
    Rau, Alex
  • (2017): Facetten des Alter(n)s. Ethnografische Porträts über Vulnerabilitäten und Kämpfe älterer Frauen (= Münchner Ethnografische Schriften Bd. 25). München: Herbert Utz Verlag
    Götz, Irene; Rau Alex (Hg.)
  • (2017): Prekärer Ruhestand - Arbeit und Lebensführung von Frauen im Alter. In: Cordula Endter; Sabine Kienitz (Hg.): Alter(n) als soziale und kulturelle Praxis. Ordnungen – Beziehungen – Materialitäten. (Aging Studies, Band 10). Bielefeld: transcript Verlag, S. 55-80
    Götz, Irene; Gajek, Esther; Rau, Alexandra; Schweiger, Petra
    (Siehe online unter https://doi.org/10.14361/9783839434116-003)
  • (2017): Stil und Stilisierung im prekären Ruhestand oder wie ältere Frauen ihr kulturelles Kapital ökonomisieren. In: Ove Sutter, Valeska Flor (Hg.): Ästhetisierung der Arbeit. Empirische Kulturanalysen des kognitiven Kapitalismus. (Bonner Beiträge zur Alltagskulturforschung, 11). Münster u.a.: Waxmann Verlag, S. 105-120
    Götz, Irene
  • (2018): Bewegung im (außer-)häuslichen Nahraum mit körperlichen Einschränkungen – Eine Mobilitätspraxis als Fallbeispiel für ein Arrangement von Alltagsbewältigung. In: Wöehlke, Sabine; Anna Palm, Anna (Hg.): Mensch-Technik- Interaktion in medikalisierten Alltagen. Göttinger Studien zur Kulturanthropologie/Europäischen Ethnologie, Band 4. Universitätsverlag Göttingen, S. 105-116
    Schweiger, Petra
  • (2018): Weibliche Prekarität im Alter. Aspekte von Gleichheit und Ungleichheit. In: Kuckuck 2/2018 (Gleichheit), S. 38-42
    Gajek, Esther; Götz, Irene; Rau, Alex; Schweiger, Petra
  • (2018): „Gott, was kommt jetzt daher?“ Wie sich ältere Frauen in prekären Lagen um ihre Zukunft sorgen. In: H.P. Zimmermann (Hg.): Kulturen der Sorge. Wie unsere Gesellschaft ein Leben mit Demenz ermöglichen kann. Frankfurt/M.: Campus, S. 283-312
    Götz, Irene; Schweiger, Petra
  • Altersarmut. Sie kochen Kohlrabiblätter aus und heizen nur ein Zimmer. ZEIT online, 7. Februar 2018
    Götz, Irene
  • (2019). Altersarmut. In Gender Glossar / Gender Glossary (6 Absätze)
    Rau, Alex
  • (2019): Altersarmut, weiblich. Wenn die Rente nicht zum Leben reicht. In: Marion Hamm u.a.(Hg.): Widerständigkeiten des Alltags. Beiträge zu einer empirischen Kulturanalyse. Für Klaus Schönberger zum 60. Geburtstag. Klagenfurt: Drava Verlag, S. 66-72
    Götz, Irene
  • (2019): Kein Ruhestand. Wie Frauen mit Altersarmut umgehen. München: Verlag Antje Kunstmann, 318 S.
    Götz, Irene (Hg.)
  • (2019): Leben und Wirtschaften im Alter. Wie Frauen im prekären Ruhestand über die Runden kommen. In: Braun, Karl u.a. (Hg.): Wirtschaften. Kulturwissenschaftliche Perspektiven. Marburg: Online-Schriften aus der Marburger kulturwissenschaftlichen Forschung und Europäischen Ethnologie, Sonderband, S. 125 –142
    Götz, Irene
 
 

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