Autonomie, Markt und Ideologie im belarussischen Literaturfeld des ersten Drittels des 20. Jh.s und der Jahrtausendwende
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Das Projekt hat ergeben, dass sich die belarusische Literatur zwischen 1906 und 1932 sowie zwischen dem Ende der 1980er Jahre und 2019 in mehrfach wechselnden, jeweils komplexen politischen, wirtschaftlichen und ideologischen Konfigurationen entwickelt. Innerhalb dieser Konfigurationen, die im Rahmen des Projekts minutiös herausgearbeitet wurden, ist die Literatur jeweils in ein Machtfeld eingebettet, das seinerseits je unterschiedlichen (emergenten, prekären, apparatähnlichen) Status hat. Ein Ergebnis des Projekts ist insofern, dass die belarusische Literatur als ‚Laboratorium‘ üblicherweise historisch oder/und areal distanter Feldzustände anzusehen und daher auch für weitere Untersuchungen von hohem Interesse ist. In sämtlichen untersuchten Konfigurationen zeigt sich, dass neben dem gesellschaftlichen Universum und dem Machtfeld auch der Literaturmarkt von ideologischen (d.h. nicht primär ökonomischen) Zielsetzungen dominiert ist (was Marktmechanismen und –strategien nicht aushebelt, aber mindert). Übereinstimmend damit ist festzustellen, dass die in der Feldtheorie veranschlagte dichotomische Struktur (Massenproduktion vs. eingeschränkter Produktion; ökonomischer Profit vs. symbolische Anerkennung) im Feld und auf dem Markt der belarusischen Literatur entweder nur schwach ausgeprägt ist, oder, in anderen Phasen, entlang einer primär ideologisch profilierten Trennlinie verläuft. Relevant ist dies, weil, wie die Untersuchungen zeigen, mit dem Primat des Ideologischen (initial des Nationalen) in der Logik des Feldes Praktiken, Überzeugungen und Wertungsmaßstäbe verankert werden (Korporationsprinzip, Bindung der Literatur an das Nationale, Allianz zwischen Autor und Leser, symbolische Anerkennung als das ‚übliche‘, positive Wertung der ‚Masse‘, u.a.), die bei der Bewertung von Autonomiebekundungen auf institutioneller und poetologischer Ebene zu berücksichtigen sind: Manifestationen des L’Art pour l’Art stehen nicht im Widerspruch zur ‚nationalen Idee‘, ein elitäres Kunstverständnis geht nicht auf Distanz zur ‚Masse‘, ökonomische statt ‚nur‘ symbolische Anerkennung wird explizit eingefordert, u.a. Diese Erkenntnisse liefern im Hinblick auf ‚kleine‘ Literaturen Reflexionspotential zur Flexibilisierung üblicher Indikatoren (primär ästhetisch-poetologischer) Autonomie – unter Berücksichtigung der je spezifischen Logik des Feldes. Noch wichtiger ist aber vielleicht die mit dem Ergebnis der Nichtlinearität belarusischer institutioneller Autonomisierungsprozesse verbundene Erkenntnis, dass gerade die Beachtung institutioneller Prozesse für die Analyse der spezifischen Autonomisierung ‚kleiner‘ Literaturen von entscheidender Bedeutung ist, weil sie Feldzustände offenlegen, die im Feldmodell üblicherweise ausgeklammert bleiben.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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Rėkanstrukcyja litaraturnaha rynku peršaj trėci XX stahoddzja: stvarėnne simvaličnaha praduktu i pravily "handlju". In: I.F. Štėjner u.a. (Hg.), Spadčyna I. Ja. Navumeki i aktual'nyja prablemy litaraturaznaŭstva, Vypusk 3. Homel': Homel'ski dzjaržaŭny ŭniversitėt imja Francyska Skaryny, 56-68. ISBN 978- 985-577-230-0
Koler, Gun-Bryt & Navumenka, Pavel
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Die zeitgenössische belarussische Literatur und ihr 'Markt' im Spiegel des Verhaltens (potenzieller) Leser. In: Adamczak, Katarzyna et al. (Hg.), Zwischenzeiten, Zwischenräume, Zwischenspiele. Ergebnisse des Arbeitstreffens des Jungen Forums Slavistische Literaturwissenschaft 2017 in Hamburg. Berlin, 125-140. ISBN: 9783631784785
Kromm, Kristina
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Literatur zwischen Ideologie und Markt. Zur Nachfrage im belarussischen Literaturfeld zu Beginn des 20. Jahrhunderts. In: Adamczak, Katarzyna et al. (Hg.), Zwischenzeiten, Zwischenräume, Zwischenspiele. Ergebnisse des Arbeitstreffens des Jungen Forums Slavistische Literaturwissenschaft 2017 in Hamburg. Berlin, 89-100. ISBN: 9783631784785
Pakhomchyk, Natallja
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"...Das Sehen, Hören auf diese Welt einstellen". Die belarusische Literaturlandschaft von innen und außen. In: Thomas M. Bohn; Marion Rutz (Hg.), Belarus-Reisen. Empfehlungen aus der deutschen Wissenschaft. Harrassowitz Verlag: Wiesbaden, 137-152. (ISBN 978-3-447-11559-9)
Kromm, Kristina
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Cykly pradukcyi na belaruskim litaraturnym rynku. In: Štejner, Ivan (Hg.), Rehijanal'nae, nacyjanal'nae i ahul'načalavečae u slavjanskich litaraturach. Minsk: Junipak, 118-139. ISBN 978-985-6802-95-2
Kromm, Kristina & Pachomčyk, Natallja
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Materyjaly da analizu belaruskaha litaraturnaha rynku. Struktura, papjarednyja vyniki, litaraturna-histaryčnyja perspektyvy. In: Štejner, Ivan (Hg.), Rehijanal'nae, nacyjanal'nae i ahul'načalavečae u slavjanskich litaraturach. Minsk: Junipak, 92-117. ISBN 978-985-6802-95-2
Koler, Gun-Bryt & Navumenka, Pavel
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Insights into the Belarusian Literary Market (1905-1932). In: Ricerche slavistiche, S. 127-152. ISSN 0391-4127
Kohler, Gun-Britt
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Konstruktion und Suspendierung. Die belarusische Nationalliteratur im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts. In: Berliner Debatte Initial 32/2. S. 74-86. (ISBN: 978-3-947802-72-2; ISSN: 0863-4564)
Kohler, Gun-Britt
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Umkämpft: Das zeitgenössische belarusische Literaturfeld aus institutioneller Perspektive. In: Berliner Debatte Initial 32/2, 87-100. (ISBN 978-3- 947802-72-2; ISSN 0863-4564)
Kromm, Kristina
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„Kollektivierung als Zerstörung. Literarische Repräsentationen des Dorfes Ende der 1920er / Anfang der 1930er Jahre (Kaljuha, Čorny, Krapiva). In: Ananka, Yaraslava; Heinrich Kirschbaum; Magdalena Marszałek (Hg.), Heu auf dem Asphalt. Topoi belarussischer Selbstverortungen. Wiesbaden: Harrassowitz. (=Die Welt der Slaven 67), S. 93-144. SBN 978-3-447-11648-0
Kohler, Gun-Britt