Berufliche Entwicklung und Verwirklichungschancen für Arbeitnehmer in multinationalen Unternehmen in Frankreich und Deutschland
Bildungssysteme und Bildungsinstitutionen
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Projektgegenstand war das Verhältnis zwischen betrieblichen Personalpolitiken und beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten in vergleichbaren Industriebetrieben in Deutschland und Frankreich. Gefragt wurde, welche Möglichkeiten beruflicher Entwicklung und gesellschaftlicher Teilhabe eine nicht-akademische Berufsausbildung Beschäftigten eröffnet. Bezugspunkt waren die einschlägigen Vergleichsstudien von Maurice et al., nach denen eine nicht-akademische Berufsausbildung in Deutschland der allgemein anerkannte Berufseinstieg war, in Frankreich dagegen für ein Scheitern im allgemeinbildenden Schulsystem stand. Der Vorrang akademischer Berufseinstiege neuerdings auch in Deutschland sowie an der dualen Berufsausbildung orientierte Reformen in Frankreich legten eine Überprüfung jenes von Maurice et al. unterstellten gesellschaftlichen Effekts nahe. Das Projekt wurde als Kooperationsprojekt zwischen SOFI Göttingen und Institut Georg Simmel der EHESS in Paris durchgeführt. Es beruht auf 12 qualitativen Betriebs- bzw. 6 Unternehmensfallstudien in der Metall- und Elektro- und der Chemie- und Pharmaindustrie. Erhebungen wurden an allen Standorten von bi-nationalen Teams durchgeführt. Als grundlegendes Ergebnis können wir festhalten, dass die unterschiedlichen Muster beruflicher Entwicklung in Deutschland und Frankreich, die von Maurice et al. als gesellschaftlicher Effekt begriffen worden waren, nicht nur bestätigt werden, sondern nunmehr auch in jenen Bereichen der Metall- und Elektro- und der Chemieindustrie zutreffen, für die das seinerzeit nicht galt, weil hier wie dort die dem französischen Modell zugeschriebene Un- und Angelerntenkarriere bestimmend war. In französischen Betrieben ist sie das immer noch, in Deutschland ist das Facharbeitermodell an ihre Stelle getreten. Als soziales Aufstiegsmodell ist dieses zugleich exklusiver geworden, eine Tendenz, die durch betriebliche Einstiegsmaßnahmen nur in Einzelfällen begrenzt relativiert wird. Eine gleichgerichtete Entwicklung stellt demgegenüber die zunehmende Bedeutung staatlich anerkannter Zertifikate dar, die aber nicht als Angleichung, sondern als Hybridisierung begriffen werden muss. Im deutschen Fall bezieht sie sich insbesondere auf die strikte Bindung der klassischen Aufstiegsposition des Meisters an den entsprechenden Fortbildungsabschluss, in Frankreich auf die zunehmende Wahrnehmung von Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen, die mit einer zertifizierten Berufsqualifikation abgeschlossen werden. Allerdings sind diese im französischen Fall – mit einer bemerkenswerten Ausnahme – mit dem Karriereverlauf nur lose gekoppelt. Es bleibt bei Anlernkarrieren, die durch solche Abschüsse aber beschleunigt werden können. Zwischen beiden Ländern ist die Verantwortung für berufliche Weiterbildung unterschiedlich institutionalisiert. In Deutschland finanzieren Beschäftigte „ihre“ Weiterbildung in der Regel selbst, in Frankreich ist die betriebliche Finanzierung obligatorisch. In Deutschland verfolgen die Einzelnen „ihre“ Weiterbildungsstrategie eigenständig, soweit sie über entsprechende Ressourcen verfügen, was neben finanziellen Mitteln typischerweise den frei gehaltenen Rücken durch (i.d.R. weibliche) Haushaltmitglieder einschließt. In Frankreich verfolgt der Betrieb seine Weiterbildungsstrategie; vom Betrieb finanzierte und organisierte, häufig duale Maßnahmen sind dabei die Regel. In beiden Ländern entscheidet letztlich der Betrieb darüber, ob und wie Weiterbildung sich auszahlt. In beiden Ländern finden sich öffentliche Förderangebote, die darauf abstellen, individuelle Handlungsspielräume Beschäftigter in Sachen beruflicher Entwicklung zu erweitern, in Deutschland mit „Meister-Bafög“ bzw. Weiterbildungsförderungsgesetz, in Frankreich mit dem Compte personnel de professionnalisation. Deren finanzielle Ausstattung ist aber in beiden Fällen bislang nicht so, dass die vorrangige Bedeutung individueller Ressourcen oder betrieblicher Entscheidungen wirksam begrenzen würde. In diesem Punkt böten die Modalitäten der Aufstiegsförderung des historischen Arbeitsförderungsgesetzes einen aktuellen Anknüpfungspunkt, der für beide Modelle anschlussfähig wäre.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- (2017): L’approbation de la loi 2014 dans une usine automobile. In: Sociologies Pratiques 35(2), S.95-104
Axel Pohn-Weidinger / Marliese Weißmann
(Siehe online unter https://doi.org/10.3917/sopr.035.0095) - (2020): Agie ou latente. Médiation tierce et production de la confiance en entreprise. In: Revue francaise de sociologie, S. 7-32
Bénédicte Zimmermann
(Siehe online unter https://doi.org/10.3917/rfs.621.0007) - (2020): Les médiations institutionnelles de la confiance en entreprise. Une comparaison franco-allemande. In: Travail et Emploi, No. 161, S. 5-29
Axel Pohn-Weidinger / Bénédicte Zimmermann
(Siehe online unter https://doi.org/10.4000/travailemploi.9748) - (2020): „Gute Arbeit“ und „qualité de vie au travail“: Kategorisierungsprozesse im deutsch-französischen Vergleich. In: Berliner Journal für Soziologie, 30, S.421-451
Léa Renard / Bénédicte Zimmermann
(Siehe online unter https://doi.org/10.1007/s11609-021-00432-y)