Theoretische und experimentelle Untersuchungen zur Pulsfrontverformung für die Lasermaterialbearbeitung mit ultrakurzen Laserpulsen
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Der Einsatz von ultrakurzen Laserpulsen (< 1 ps) hat sich in verschiedensten Bereichen der Materialbearbeitung etabliert. Ultrakurze Laserpulse ermöglichen eine berührungslose, hochpräzise Bearbeitung unterschiedlichster Werkstoffe und bieten daher gegenüber konventionellen Fertigungsmethoden einige Vorteile. Herausforderungen beim Einsatz dieser Technologie bestehen aktuell in der Entwicklung geeigneter optischer Systemtechnik. Aufgrund der erhöhten Bandbreite ultrakurzer Pulse treten Effekte auf, die bei längeren Pulsen oder kontinuierlicher Strahlung nicht relevant sind. Zu diesen Effekten zählt beispielsweise die Propagationszeitdifferenz (engl. propagation time difference, PTD) zwischen Puls- und Phasenfront, die bei Propagation durch dispersives Medium angesammelt wird. Diese Verzögerung ist im Allgemeinen abhängig von der Weglänge im dispersiven Medium und somit bei den meisten optischen Elementen von der Strahlhöhe. Ein Prisma führt beispielsweise zu einer Verkippung der Pulsfront (engl. pulse front tilt, PFT) gegenüber der Phasenfront. Zur flächigen Bearbeitung von Werkstücken hat sich in der Lasermaterialbearbeitung der Einsatz von Ablenksystemen mit nachgelagerter Fokussierung etabliert, um den Laserstrahl über ein Werkstück zu führen. Die dabei verwendeten Fokussierlinsen werden in Abhängigkeit vom Ablenkwinkel unterschiedlich durchlaufen und können somit zu ablenkwinkelabhängigen Pulseigenschaften führen. Die auf das Werkstück treffenden Pulse können folglich abhängig vom Ort unterschiedliche PFTs und damit auch unterschiedliche Pulsdauern im Fokus aufweisen. Beides kann die Materialwechselwirkungen signifikant beeinflussen und daher zu inhomogenen Bearbeitungsergebnissen führen. Die im Rahmen des Vorhabens entwickelten Simulationsmethoden erlauben eine modelltheoretische Analyse der PTD. Zu den Simulationsmethoden zählen ein auf strahlenoptischen und ein auf wellenoptischen Algorithmen basierendes Verfahren. Außerhalb der Fokusregion liefern beide Verfahren konsistente Ergebnisse. Darüber hinaus kann das strahlenoptische Verfahren auch zur Optimierung optischer Systeme hinsichtlich der PTD eingesetzt werden. Mithilfe der strahlenoptischen Simulationsverfahren wird ein System bestehend aus drei Prismen ausgelegt, das einen PFT mit festem Betrag induziert. Die Orientierung des PFTs hängt dabei von der Drehung des Prismensystems relativ zum Laserstrahl ab. Bei Verwendung von zwei rotierbar gelagerten Prismensystemen kann der PFT variabel in Richtung und Betrag eingestellt werden. Für die experimentelle Validierung wird ein Versuchsaufbau zur Bestimmung des PFTs in Abhängigkeit des Ablenkwinkels für telezentrische Bearbeitungsobjektive realisiert. Dazu wird die Strahlung mit einem zweiten, baugleichen Objektiv kollimiert und der PFT mit einem Autokorrelator gemessen. Die Ergebnisse der durchgeführten Versuche stimmen im Rahmen der identifizierten Unsicherheiten mit der Modelltheorie überein, die einen linearen Anstieg des induzierten PFTs mit dem Ablenkwinkel vorhersagt. Da der verwendete Autokorrelator nur die Messung der Projektion des PFTs in einer Ebene erlaubt, wird für weiterführende Untersuchungen ein Aufbau zur Messung der Pulsorientierung im Raum entwickelt. Dazu wird der Autokorrelator mithilfe eines Rotationstisches drehbar gelagert und ermöglicht somit die Messung des PFTs in beliebigen Ebenen. Unter Anwendung dieses Messprinzips wird experimentell gezeigt, dass sich mithilfe der ausgelegten Prismensysteme ein initialer PFT im Laserstrahl, z. B. durch optische Elemente hervorgerufen, innerhalb der Messtoleranz kompensieren lässt. Anhand von Experimenten zum Selektiven Laserätzen (engl. Selective Laser-induced Etching, SLE) von Glaswerkstoffen wird der Einfluss eines PFTs im Laserstrahl auf die Materialbearbeitung untersucht. Wie bereits in Voruntersuchungen gezeigt, können richtungsabhängige Bearbeitungsergebnisse beim SLE mit einem PFT im Laserstrahl in Verbindung gebracht werden. Für eine quantitative Analyse werden systematisch Borosilikatgläser mit ultrakurzen Laserpulsen, die verschiedene Orientierungen und Beträge des PFTs aufweisen, unter unterschiedlichen Vorschubrichtungen strukturiert. Im Anschluss werden die in das Glas geätzten Kanäle untersucht und auf Basis der Kanallängen für die positive und negative Vorschubrichtung der sog. Hin-/Rückeffekt bestimmt. Die experimentellen Daten weisen für die analysierten Vorschubrichtungen keine direkte Abhängigkeit des Hin-/Rückeffekts vom PFT auf. Allerdings führt ein mittels der Prismensysteme minimierter PFT zu einem größeren Prozessfenster bei der Strukturierung von Borosilikatglas.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- „Optische Systeme für die hochpräzise, scannerbasierte Multistrahlbearbeitung mit ultrakurzen Laserpulsen“, Dissertation, RWTH Aachen University (2016)
Lasse Büsing
- „Theoretical and experimental analysis of scan angle depending pulse front tilt in optical systems for laser scanners”, de Gruyter, Advanced Optical Technologies, Volume 5, Issue 1 (2016)
Lasse Büsing, Tobias Bonhoff, Lars Behnke, Jochen Stollenwerk und Peter Loosen
(Siehe online unter https://doi.org/10.1515/aot-2015-0046)