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Wissenschaft und Religionskultur. Eine Untersuchung von Identitätskonstruktionen in der Stammzellforschung in Deutschland und in den USA

Antragstellerin Dr. Silke Gülker
Fachliche Zuordnung Empirische Sozialforschung
Förderung Förderung von 2013 bis 2019
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 235080283
 
Erstellungsjahr 2019

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Wissenschaft macht die Welt verfügbar. Mit diesem Narrativ setzt sich das Projekt auseinander und stellt ihm eine andere Perspektive gegenüber: Untersucht werden Grenzen der Verfügbarmachung in der wissenschaftlichen Arbeit. Empirische Grundlage sind zwei Laborstudien in der Stammzellforschung, eines davon ansässig in Deutschland und eines in den USA. Die Stammzellforschung ist in besonderem Maße dafür bekannt, Grenzen der Verfügbarkeit immer weiter zu verschieben. Angesichts aktueller Nachrichten zur Züchtung von menschlichen Organen in Schweinen, zur Modifikation der menschlichen Keimbahn oder zum Klonen von Affen stellt sich die Frage, ob und inwiefern Grenzen der Verfügbarkeit in diesem Forschungsgebiet prinzipiell von Bedeutung sein können – ob und inwiefern etwas aus Sicht der Wissenschaftler/innen prinzipiell unverfügbar bleibt. Theoretisch ist diese Untersuchung angeleitet durch eine Auseinandersetzung mit den Begriffen Transzendenz und Unverfügbarkeit. Im allgemeinen Sprachgebrauch sowie auch im religionssoziologischen Diskurs steht zwar der Begriff Transzendenz oft in enger Verbindung mit Außerweltlichem und mit institutionalisierter Religion. Historisch hat aber Transzendenz nicht allein mit theologischen, sondern auch mit erkenntnistheoretischen Fragen zu tun: Es geht um die Grenzen zwischen aktuell Erfahrbarem und Nicht-Erfahrbarem. An diese breite Lesart knüpfen auch die Autoren Alfred Schütz und Thomas Luckmann an: Sie unterscheiden zwischen kleiner Transzendenz aufgrund von zeitlichen und räumlichen Grenzen, mittlerer Transzendenz aufgrund von Grenzen im Gegenüber und großer Transzendenz aufgrund von Grenzen zu „anderen Wirklichkeiten“. Das Projekt nimmt diese Unterscheidung zum Ausgangspunkt und untersucht, wie Grenzen der Erfahrbarkeit im Sinne mittlerer und großer Transzendenz in Laboren der Stammzellforschung verändert und neu konstruiert werden. Das Ergebnis kurz gefasst lautet: Auch in Laboren der Stammzellforschung, die inhaltlich und organisatorisch auf Verfügbarmachung ausgerichtet sind, bleiben prinzipielle Grenzen der Verfügbarkeit aus inhaltlich-technischen und aus ethisch-moralischen Gründen bedeutsam. Zellen und Tiere werden als unverfügbar im Sinne mittlerer Transzendenz konstruiert, ihnen werden menschliche Eigenschaften zugesprochen und ihr Einfluss auf die Experimente ist aus Sicht der Wissenschaftler/innen nie vollständig kalkulierbar. Auch Ideen von einem gegebenen Weltganzen werden von den Wissenschaftler/innen als unverfügbar angenommen, obwohl die Arbeiten im Labor prinzipiell geeignet sind, sie in Frage zu stellen. Allerdings sind die Befunde in Bezug auf solche abstrakten Ideen komplexer. Zwar wird beispielsweise eine Hierarchie der Arten und die Trennung von Mensch und Tier aus ethisch-moralischen Gründen von den meisten Wissenschaftler/innen als unverfügbar gegeben angenommen. Praktisch werden aber gleichwohl Experimente zur Herstellung von Mensch-Maus-Mischwesen umgesetzt. Die Konstruktion von Transzendenz und Unverfügbarkeit ist von zentraler theoretischer wie empirischer Bedeutung und das Projekt plädiert dafür, diese Konstruktionen stärker in den soziologischen Blick zu nehmen – und das unabhängig davon, ob eine spezifische Konstruktion religiös zu nennen ist oder nicht.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

 
 

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