Jesusworte auf den Wegen antiker Spruchüberlieferung.Untersuchungen zur Eigenart, Komposition und Redaktion antiker Spruchsammlungen im Vergleich der Logienquelle und des Thomasevangeliums mit den Sprüchen des Pseudo-Phokylides, Sextus und Epikur
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Antike Spruchsammlungen erwecken den Anschein, als sei ihr Material lose und willkürlich zusammengefügt worden. Jeder Versuch einer zusammenhängenden Interpretation wäre damit zum Scheitern verurteilt. Diesen Eindruck konnte das Projekt anhand ausgewählter Beispiele widerlegen. Zwar liegen einzelne Spruchsammlungen häufig in unterschiedlichen Fassungen vor; dies gilt auch für alle untersuchten Spruchcorpora. Zugleich erweisen sich die verschiedenen Fassungen aber im Laufe der Überlieferung als relativ stabil. So haben z.B. die Sextussprüche in unterschiedlichen Sprachen jeweils in sich festgefügte Versionen ein und derselben Spruchsammlung herausgebildet. Das Verhältnis, in dem unterschiedliche Versionen einer Spruchsammlung zueinanderstehen, variiert von Fall zu Fall. Es begegnen freie Umformulierungen von Spruchinhalten (Pseudo-Phokylides) neben reinen Erweiterungen von Corpora (Epikur) oder damit verbundenen Umgruppierungen von Sentenzen (Sextus). Bei aller Variation im Umgang mit dem sehr divergenten Spruchmaterial, das allein im Thomasevangelium von kurzen Aussprüchen bis hin zu kurzen Dialogen reicht, gibt es aber auch gleichbleibende Wachstumsmuster, die sich in Texten von unterschiedlichem literarischem Charakter wiederholen. So teilt das Thomasevangelium mit den Sextussprüchen die Tendenz, ein ursprüngliches Spruchcorpus durch Anhänge zu erweitern, die sowohl durch Wiederholung bereits bekannter Sprüche als auch durch deren Erweiterung und Gruppierung gebildet werden. Derlei nachweisbare Wachstumsprozesse lassen die Texte als Produkte bewusster Kompositionsarbeit erkennen, die als solche auch verstanden und interpretiert werden wollen. Zusammenhängende Deutungen werden dadurch nicht nur möglich, sondern sind innerhalb der durch die literarische Eigenart der Texte gezogenen Grenzen sogar geboten, um zu einem angemessenen Verständnis des Ganzen und seiner Teile zu gelangen.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- Die Sextussprüche und ihre Verwandten, SAPERE 26 (Tübingen 2015)
W. Eisele (Hrsg.)
(Siehe online unter https://doi.org/10.1628/978-3-16-156429-1) - Art. Spruchweisheit, Sprichwort, RAC 30 (2021) 1127–1149
W. Eisele / R. Scoralick
