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Über das Vorgestern zum Übermorgen: Die Neoprimitivistische Kulturrevolution im Rußland der 1910er / 1920er Jahre

Fachliche Zuordnung Europäische und Amerikanische Literatur- und Kulturwissenschaften
Förderung Förderung von 2006 bis 2012
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 12590533
 
Erstellungsjahr 2013

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Entscheidend für die Frage nach den Anfängen in der Moderne ist im slavistischen Kontext die gerade in Russland zugespitzte Hoffnung auf Totalveränderung durch Totalzerstörung der "Alten Welt" und des 'Alten Menschen': der/das Neue sollte im Sinne des alten (russischen) An-Archismus (Bakunin) quasi "automatisch" aus der und durch die Zerstörung, die vollständige Löschung des Alten entspringen. Das Paradoxon bestand jedoch darin, dass dieses "Alte" als die aktuelle Gegenwart eines nachwirkenden Gestern gedacht wurde, welches schlichtweg mit dem 19. Jahrhundert (zumeist seiner 2. Hälfte) gleichgesetzt wurde: Das Umkippen, der Progression ins Neue sollte eben durch eine Regression ins Ur-Alte, Vorbewusste, Prä-Kulturelle erfolgen. Der Weg – bzw. der 'Große Sprung' – führt vom Heute ins Vorvorgestern, um im 'Überübermorgen' zu landen. Denn der eigentliche "Feind" war nicht das Uralte, sondern das banale Gestern, welches durch seine Konventionalität das Heute zukunftsunfähig machte. Aufbauend auf den im Erst- und im Folgeantrag formulierten Zielsetzungen konzentrierte sich das Teilprojekt in einem allgemeinen Teil auf das kunsttheoretische bzw. kulturphilosophische Phänomen des Neoprimitivismus generell, der im Verlauf der Geschichte immer wieder in verschiedenen Varianten aufgetreten ist. Die ursprünglich primär auf den Neoprimitivismus der 1910er Jahre bezogene Konzeption des Erstantrags und die damit verbundene allgemeine Frage nach kulturtypologischen Varianten von Neoprimitivismen in der Kunst- und Kulturgeschichte erweiterte sich zunehmend: Einmal rückwärts in Richtung Symbolismus, einmal vorwärts über die Grenzen der 1910er Jahre hinaus in Richtung Prosa der 1920er Jahre und darüber hinaus zur absurdistischen Spätavantgarde an der Schwelle der Stalinära. Durch diese Vor- und Rückgriffe sollte es möglich sein, eine bisher eher als kunsthistorische Stilformation interpretierte Strömung auf eine Poetik hin intermedial zu öffnen und darüber hinaus die Spiegelbilder ihrer Vor- und Nachgeschichte aufeinander zu beziehen. Die seit längerem untersuchte Verknüpfung der russischen Spätavantgarde mit einer erst zu konzeptualisierenden Internationalen der absurden Dichtung erfährt unter dem Zeichen des Neoprimitivismus ihre überzeugendste Bestätigung. Erst diese finale Spiegelung des Neoprimitivismus der 1910er Jahre im Gegenbild der späten Avantgarde der späten 20er und der 30er Jahre macht das Bild komplett und liefert überraschende Einblicke in Formationen, die bisher zumeist isoliert betrachtet wurden.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • "Der absurde Körper und seine Tot-Geburt: Verbale Brachialitäten bei Daniil Charms", (Vortrag Bielefeld 2006), Wiener Slawistischer Almanach, 57, 2006, S. 151-230
    Aage A. Hansen-Löve
  • "Wie Faktura zeigt. Einige Erinnerungen an einen Begriffsmythos der russischen Avantgarde", in: B. Obermeier (Hg.), Faktur/Fraktur, Wiener Slawistischer Almanach, Sonderband 63, 2006, S. 47-96
    Aage A. Hansen-Löve
  • "Am Anfang war… das Wort. Zum Logozentrismus – à la russe", in: Inka Mülder-Bach, Eckhard Schumacher (Hg.), Am Anfang war… Ursprungsfiguren und Anfangskonstruktionen der Moderne, München: Fink 2008, S. 71-90
    Aage A. Hansen-Löve
    (Siehe online unter https://doi.org/10.30965/9783846747278_006)
  • "Das Buch als solches: Russische Beispiele von Puškin bis Mandelštam", in: Phöbe Annabel Häcker, Thorsten Mundi, Brigitte Rath, Markus Wiefarn (Hg.), textern. Beiträge zur literaturwissenschaftlichen Kontext-Diskussion, München: Verlag Martin Meidenbauer 2008, S. 173-198
    Aage A. Hansen-Löve
  • "Wir sind alle aus »Pljuškins Haufen« hervorgekrochen..": Ding – Gegenstand – Ungegenständlichkeit – Verdinglichung – Unding: vom Realismus zum Konzeptualismus", in: Anke Hennig, Georg Witte (Hg.), Der dementierte Gegenstand. Artefaktskepsis der russischen Avantgarde zwischen Abstraktion und Dinglichkeit, Wiener Slawistischer Almanach, Sonderband 71, Wien / München 2008, S. 251-346
    Aage A. Hansen-Löve
  • "Figuren der Ankunft im russischen Symbolismus um 1900", in: Aage A. Hansen-Löve, Annegret Heitmann, Inka Mülder-Bach (Hg.): Ankünfte. An der Epochenschwelle um 1900, München: Fink 2009, S. 109-139
    Aage A. Hansen-Löve
    (Siehe online unter https://doi.org/10.30965/9783846747810_008)
  • "«Antiseksus» Platonova: poroždenie i žanr", Wiener Slawistischer Almanach, 63, Wien- München 2009, S. 167-190
    Aage A. Hansen-Löve
  • "Platonov’s Chevengur Between Defamiliarization and Compassion", In: K. Holm (Hg.), Ulbanus.The Slavic Review of Columbia University 14, 2011/2012 New York, S. 3-36
    Aage A. Hansen-Löve
  • "Gründungsmythen Petersburgs und ihre Metamorphosen", in: Maha El Hissy, Sascha Pöhlmann (Hg.): Gründungsorte. Von St. Petersburg bis Occupy Wall Street, München: Wilhelm Fink Verlag 2013, 35 S.
    AAageage A. Hansen-Löve
    (Siehe online unter https://doi.org/10.30965/9783846755907_005)
  • "Vom Vorgestern ins Übermorgen: Neoprimitivismus in der russischen Avantgarde", in: Nicola Gess (Hg.): Literarischer Primitivismus, in der Reihe: Untersuchungen zur deutschen Literaturgeschichte, Band 143, de Gruyter Verlag, Berlin / Boston 2013, S. 269-315
    Aage A. Hansen-Löve
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1515/9783110286670.269)
  • "»Geschaffen – nicht gezeugt«. Antigenerisches Erzeugen vs. genetisches Zeugen von Kunst", in: Aage A. Hansen-Löve, Michael Ott, Lars Schneider (Hg.): Natalität. Geburt als Anfangsfigur in Literatur und Kunst, München: Wilhelm Fink Verlag 2013
    Aage A. Hansen-Löve
    (Siehe online unter https://doi.org/10.30965/9783846756386_013)
  • Der russische Symbolismus. System und Entfaltung der poetischen Motive, III. Band: Mythopoetischer Symbolismus, 2. Lebensmotive, Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 2013, 770 S. ISBN: 978-3-7001-7604-6
    Aage A. Hansen-Löve
 
 

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