Gottes Uranfang - Politische creatio continua. Urszenen und Sprachen der Schöpfung im deutschsprachigen theologischen Diskurs der 1920er und 1930er Jahre
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Die Rede von "Gottes Schöpfungshandeln" und sonstige Schöpfungssemantik dienten sowohl in den protestantischen wie römisch-katholischen theologischen Diskursen der Zwischenkriegszeit als auch in der jüdischen Debatte zumeist zur Begründung starker ethischer Normativität. Je mehr seit 1918/19 "die Krise" (der Moderne, des Historismus, der Wissenschaft, des Christentums etc.) erlitten und beschworen wurde, desto stärker suchten Theologen wie Philosophen der damals jüngeren Generation, i.e. der entscheidend durch den Ersten Weltkrieg geprägten und traumatisierten sog. "Frontgeneration", nach neuer Unbedingtheit und wirklich tragenden Fundamenten, und genau dazu diente ihnen der Rekurs auf Gottes Schöpfung, die symbolisch verdichtete Ordnungsinstanz par excellence. Besonders deutlich zeigen dies die heftigen Kontroversen um den Begriff der "Schöpfungsordnung" und die Politisierung der alten Vorstellungen einer göttlichen creatio continua (in der traditionellen dogmatischen Sprache auch: Erhaltung oder Erhaltungsordnung). Neue schöpfungstheologisch entwickelte (oder von Theologen im Kontext schöpfungstheologischer Spekulationen aufgegriffene) Begriffe wie "Seinsordnung", "Ursprungsmächte" bzw. "Ursprungskräfte", "Gottes Gesetz", "Seinsgesetz", "Volksnomos", "Volksgemeinschaft", "Volksordnung", "Raumordnung", "heiliges Land" und "Gottes Reich" prägten keineswegs nur die diversen "politischen Theologien" christlicher Theologen, sondern wurden intensiv auch von jüdischen Theologen und Religionsintellektuellen aufgegriffen. Auch waren es keineswegs nur Theologen aus den diversen antirepublikanisch völkischen Milieus und nationsfromme Wegbereiter der "deutschen Revolution" von 1933, sondern auch eher der politischen Linken verbundene Religiöse Sozialisten, die eine postliberale, nicht mehr parlamentarische politische Ordnung durch schöpfungstheologische Reflexionsfiguren bzw. Schöpfungsethik begründen und stärken wollten. In den Perspektiven des vom Antragsteller entwickelten Konzepts einer "shared history" der modernen Theologiegeschichten wurden vor allem die dichten Austauschprozesse zwischen protestantischen, römisch-katholischen und jüdischen Theologen und Religionsphilosophen. Analytisch leitend war dabei der Begriff des Sakraltransfers: Untersucht wurden Strategien der Sakralisierung von Ordnungsinstanzen wie "Volk", "Raum" und "Rasse", mit denen beim Anfang aller wahren politischen Ordnung, dem gottgegebenen Fundament eingesetzt werden soll.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- Protestantismus und Rechtsordnung, in: Horst Dreier / Eric Hilgendorf (Hg.), Kulturelle Identität als Grund und Grenze des Rechts. Akten der IVR-Tagung vom 28. - 30. September 2006 (ARSP Beiheft 113), Stuttgart 2008, 129-161
Graf, Friedrich Wilhelm
- Augenblick divino, Kairos e altri tempi assoluti. Alcune considerazioni in merito ai discorsi teologici sul tempo nella reppublica di Weimar, in: Etica, Religione e Storia. Studi in memoria die Giovanni Moretto, a cura di Domenico Venturelli, Roberto Celada Ballanti, Gerardo Cunico, Genova 2007, S. 115-153
Friedrich Wilhelm Graf
- Am Anfang war ... nur Anfang. Anfängliche Bemerkungen zur religiösen Schöpfungsnarration, in: Inka Mülder-Bach/Eckhard Schumacher (Hrsg.): Am Anfang war ... Ursprungsfiguren und Anfangskonstruktionen der Moderne, München 2008, S. 11-31
Friedrich Wilhelm Graf
(Siehe online unter https://doi.org/10.30965/9783846747278_003) - Ernst Troeltsch. Der Historismus und seine Probleme (1922). Ernst Troeltsch. Kritische Gesamtausgabe, Band 16.1 und 16.2, Berlin/New York 2008, 1422 S.
Friedrich Wilhelm Graf, in Zusammenarbeit mit Matthias Schloßberger (Hg.)
(Siehe online unter https://doi.org/10.1515/9783110900682) - Missbrauchte Götter. Zum Menschenbilderstreit in der Moderne, München 2009, 208 S.
Friedrich Wilhelm Graf
- Skeptisch verweigerte Ankunft. Franz Overbecks Diastase vom wahren Christentumund moderner Kultur, in: Aage Hansen-Löve/Annegret Heitmann/Inka Mülder-Bach (Hrsg.): Ankünfte an der Epochenschwelle um 1900, München 2009, S. 57-87
Friedrich Wilhelm Graf
(Siehe online unter https://doi.org/10.30965/9783846747810_006) - Eschewing Images of Man: Against Anthropological Reductionism in Bioethics, in: G. Pfleiderer/G. Brahier/K. Lindpaintner (Hrsg.): GenEthics and Religion, Basel 2010, S. 52-59
Friedrich Wilhelm Graf
(Siehe online unter https://doi.org/10.1159/000315601) - God’s Anti-Liberal Avant-Garde: New Theologies in the Weimar Republic, in: GHIL Bulletin, Vol XXXII, No. 2 (2010), S. 3-24
Friedrich Wilhelm Graf
- Der eine Gott in vielerlei Gestalt. Die konfliktreiche Pluralisierungsdynamik in den drei monotheistischen Weltreligionen, in: Judaism, Christianity, and Islam in the Course of History: Exchange and Conflicts (Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien 82), hg. von Lothar Gall und Dietmar Willoweit, München 2011, S. 1-17
Friedrich Wilhelm Graf
(Siehe online unter https://doi.org/10.1515/9783110446739-003) - Der heilige Zeitgeist. Studien zur Ideengeschichte der protestantischen Theologie in der Weimarer Republik, Tübingen 2011, 527 S.
Friedrich Wilhelm Graf
- "Kreationismus". Religionsgeschichten der Moderne [Festvortrag], in: Bayerische Akademie der Wissenschaften. Jahrbuch 2011, München: Verlag der Bayerischen Akademie der Wissenschaften in Kommission bei C.H. Beck, 2012, S. 143-161
Friedrich Wilhelm Graf
- "Politische Romantik" und "Sozialistische Entscheidung". Eine freundschaftliche Annonce für Heinrich Meier zum 8. April 2013, in: Zeitschrift für Neuere Theologiegeschichte/Journal for the History of Modern Theology 19 (2012), S. 247-268
Friedrich Wilhelm Graf
(Siehe online unter https://doi.org/10.1515/znth-2012-0012)