Einsicht: Neurowissenschaftliche Untersuchungen des Einflusses von Wissen auf Wahrnehmung und Bewusstsein
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Welchen Einfluss hat unser Wissen darauf, wie wir unsere Umwelt wahrnehmen und beurteilen? Die Ergebnisse des vorliegenden Projekts zeigen ein klares Bild der Beeinflussung wahrnehmungsbezogener Prozesse durch deklaratives Wissen. Sozial-emotionale Informationen über Personen, funktionale Informationen über Objekte, soziale Informationen über Künstler:innen, aber auch länger etabliertes Wissen wie die Kategorien unserer Muttersprache hat einen Einfluss auf unterschiedliche Stufen der visuellen Wahrnehmung und Beurteilung von sozialen Stimuli wie Gesichtern oder Deepfake-Gesichtern und emotionalen Gesichtsausdrücken, aber auch Objekten, Kunstwerken und Farbkontrasten. Neben diesen elementaren Wahrnehmungskomponenten werden auch andere wahrnehmungsbezogene Funktionen durch Wissen beeinflusst. So können unterschiedliche Arten des Wissens den Zugang unterschiedlicher Objektkategorien zum visuellen Bewusstsein erleichtern. Dies geht mit veränderter Gehirnaktivität in frühen Zeitbereichen zwischen 100 und 300 ms einer. Wissen verändert also nicht nur, wie wir unsere Umwelt wahrnehmen, sondern auch, welche Aspekte unserer Umwelt überhaupt in unser Bewusstsein treten. Auch bei der visuellen mentalen Vorstellung lassen sich früh verankerte Parallelen zur Wahrnehmung sowie vergleichbare frühe Wissenseffekte feststellen. Die Vorstellung eines emotionalen Gesichtsausdrucks geht mit einem ähnlichen Muster an ereigniskorrelierter Gehirnaktivität im EEG einher wie die Wahrnehmung neutraler Gesichter, wenn diese mit sozial-emotionalem Wissen assoziiert sind und wie die Wahrnehmung tatsächlich präsentierter Gesichtsausdrücke. Analog zu visuell präsentierten Objekten, bei denen sich Wissenseffekte bereits in der Amplitude der P1 Komponente, also nach etwa 100 ms, feststellen lassen, zeigen sich auch bei der mentalen Vorstellung von Objekten frühe Effekte in der P1 Komponente. Diese Befunde weisen insgesamt darauf hin, dass Wissen unser Erleben, unser Bewusstsein, unsere Vorstellungen und unsere Urteile massiv beeinflussen kann. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Verarbeitung erschwert ist, zum Beispiel wenn die visuelle Stimulation ausbleibt wie bei mentaler Vorstellung oder unter Bedingungen reduzierter Aufmerksamkeit, wenn die bewusste Wahrnehmung erschwert ist. Insbesondere in diesen Situationen kann Wissen unsere Wahrnehmung leiten. Die Befunde des Projekts sind nicht mit der Annahme einer von höheren Funktionen abgeschotteten Wahrnehmung vereinbar, sondern weisen darauf hin, dass Wissen sowohl unmittelbare Effekte auf die Wahrnehmung haben, als auch eine Veränderung der gespeicherten visuellen Repräsentationen bewirken kann. In diesem Sinne kann unsere Wahrnehmung als intelligent beschrieben werden.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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Native Language Promotes Access to Visual Consciousness. Psychological Science, 29(11), 1757-1772.
Maier, Martin & Abdel Rahman, Rasha
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Semantic Knowledge Enhances Conscious Awareness of Visual Objects. Journal of Cognitive Neuroscience, 31(8), 1216-1226.
Weller, Peter D.; Rabovsky, Milena & Abdel Rahman, Rasha
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Clear judgments based on unclear evidence: Person evaluation is strongly influenced by untrustworthy gossip.. Emotion, 20(2), 248-260.
Baum, Julia; Rabovsky, Milena; Rose, Sebastian Benjamin & Abdel Rahman, Rasha
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Effects of Language on Visual Perception. Trends in Cognitive Sciences, 24(11), 930-944.
Lupyan, Gary; Abdel Rahman, Rasha; Boroditsky, Lera & Clark, Andy
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Emotional content reduces the cognitive effort invested in processing the credibility of social (mis)information. (2020, 11, 13). Wallstein Verlag.
Baum, Julia; Frömer, Romy; Abdel, Rahman & Rasha
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Emotional news affects social judgments independent of perceived media credibility. Social Cognitive and Affective Neuroscience, 16(3), 280-291.
Baum, Julia & Abdel Rahman, Rasha
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Visual consciousness of faces in the attentional blink: Knowledge-based effects of trustworthiness dominate over appearance-based impressions. Consciousness and Cognition, 83(2020, 8), 102977.
Eiserbeck, Anna & Abdel Rahman, Rasha
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Electrophysiological Chronometry of Graded Consciousness during the Attentional Blink. Cerebral Cortex, 32(6), 1244-1259.
Eiserbeck, Anna; Enge, Alexander; Rabovsky, Milena & Abdel Rahman, Rasha
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Negative news dominates fast and slow brain responses and social judgments even after source credibility evaluation. NeuroImage, 244(2021, 12), 118572.
Baum, Julia & Abdel Rahman, Rasha
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Deepfake smiles matter less—the psychological and neural impact of presumed AI-generated faces. Scientific Reports, 13(1).
Eiserbeck, Anna; Maier, Martin; Baum, Julia & Abdel Rahman, Rasha
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Instant Effects of Semantic Information on Visual Perception. The Journal of Neuroscience, 43(26), 4896-4906.
Enge, Alexander; Süß, Franziska & Abdel Rahman, Rasha
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Separating art from the artist: The effect of negative affective knowledge on ERPs and aesthetic experience. PLOS ONE, 18(1),e0281082.
Kaube, Hannah; Eiserbeck, Anna & Abdel Rahman, Rasha
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Distrust before first sight? Examining knowledge- and appearance-based effects of trustworthiness on the visual consciousness of faces. Consciousness and Cognition, 117(2024, 1), 103629.
Eiserbeck, Anna; Enge, Alexander; Rabovsky, Milena & Abdel Rahman, Rasha
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Transient and Long‐Term Linguistic Influences on Visual Perception: Shifting Brain Dynamics With Memory Consolidation. Language Learning, 74(S1), 157-184.
Maier, Martin & Abdel Rahman, Rasha