Traditionale Governance und moderne Staatlichkeit: Die Auswirkung ihrer Integration auf Demokratie und inneren Frieden
Zusammenfassung der Projektergebnisse
In vielen Staaten der Welt regeln indigene ethnische Gruppen ihr inneres politisches Leben gemäß traditionalen Institutionen der kollektiven Entscheidungsfindung, Konfliktlösung und Gerichtsbarkeit. In diesen Staaten ko-existieren traditionale Formen der Governance mit modernen staatlichen Institutionen. Dieser politische Dualismus ist manchmal in der Verfassung, in den zentralen politischen Institutionen oder in einfachen Gesetzen verankert, in anderen Fällen ist er eine Realität ohne rechtliche Grundlage. Die Folgen der Ko-existenz und (oft mangelnden) Integration traditionaler Governance und moderner Staatlichkeit für Demokratie, inneren Frieden und Entwicklung, sind noch wenig politikwissenschaftlich erforscht, insbesondere fehlen systematisch vergleichende Ansätze. Das Projekt verfolgte das Ziel, mittels eines weltweiten quantitativen Vorgehens und durch Länderstudien in Subsahara Afrika folgende Fragen zu beantworten: Welche Formen der traditionalen Governance existieren in welchen Staaten? In welchem Umfang werden solche Praktiken wo und von wem gelebt? Welche Formen der Verankerung im staatlichen Recht und in den politischen Institutionen lassen sich feststellen? Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Ausmaß traditionaler Praktiken und dem Demokratieniveau einerseits, dem Konfliktniveau andererseits? Gibt es einen Zusammenhang zwischen der – formellen oder informellen – Integration traditionaler Praktiken in den modernen Staat und dem Demokratieniveau einerseits, dem Konfliktniveau andererseits? Für das Projekt wurden folgende Arbeitshypothesen formuliert: (H1) Je größer der Umfang praktizierter traditionaler Governance in einem Land, desto niedriger ist das Demokratieniveau. (H2) Je größer der Umfang praktizierter traditionaler Governance, desto höher ist bei vorliegender ethnischer Heterogenität das Konfliktniveau. (H3) Je höher die formelle Integration der traditionalen Governance ins staatliche System (bei gleichem Umfang), desto höher ist das Demokratieniveau. (H4) Je höher die formelle Integration der traditionalen Governance ins staatliche System (bei gleichem Umfang), desto geringer ist das Konfliktniveau. Der weltweite Ansatz erforderte eine umfangreiche Datenerhebung. Es wurden vier Datensätze erstellt: 1) TradGov Constitutions kodiert alle Regelungen in Verfassungen (in 2014), die sich auf indigene Rechte, sowie traditionale Institutionen und Gewohnheitsrecht beziehen. 2) TradGov Populations enthält eine Schätzung der Populationszahlen traditional organisierter Gruppen und ihrer Bevölkerungsanteile in den Staaten. 3) TradGov Groups präsentiert Daten aus einer Expertenbefragung zur inneren politischen Organisation von 1.557 indigenen ethnischen Gruppen und ihrer Interaktion mit dem Staat. 4) TradGov LawSSA kodiert das komplette Recht zur traditionalen Governance in einem Zeitreihendatensatz für 38 Staaten in Subsahara Afrika seit ihrer Unabhängigkeit. Die bisherigen statistischen Analysen der Daten unterstützen die vier Hypothesen, auch wenn für kausale Aussagen vertiefte Analysen nötig sind. Es zeigt sich, dass ein höherer Anteil der traditional organisierten Bevölkerung mit einem niedrigeren Demokratieniveau und mit einem höheren Niveau innerer Konflikte korreliert. In der Interaktion mit der formellen Integration auf Verfassungsebene ändert sich das Bild: Je mehr traditional organisierte Bevölkerung und je umfangreicher die rechtliche Integration, umso ausgeprägter die nachfolgende Demokratisierung und umso niedriger das Konfliktniveau.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- (2020) Explaining the Constitutional Integration and Resurgence of Traditional Political Institutions in Sub-Saharan Africa. Political Studies 68 (4) 973–995
Holzinger, Katharina; Kern, Florian G.; Kromrey, Daniela
(Siehe online unter https://doi.org/10.1177/0032321719884712) - (2015): Traditionale Governance in Afrika: Konflikte in Uganda, Kenia, Namibia und Tansania, in: Jahrbuch der Heidelberger Akademie der Wissenschaften für 2015, Universitätsverlag Winter, Heidelberg, 35-37
Katharina Holzinger
- (2015): What is a Chief without Land? Impact of Land Reforms on Power Structures in Namibia, Regional & Federal Studies 25 (5): 455-472. Auch erschienen in: Erk, Jan (ed.): Decentralization, democracy, and development in Africa. London : Routledge, 2017
Behr, Daniela, Roos Haer und Daniela Kromrey
(Siehe online unter https://doi.org/10.1080/13597566.2015.1114923) - (2018): The Constitutionalization of Indigenous Group Rights, Traditional Political Institutions, and Customary Law, Comparative Political Studies 52(12): 1775-1809
Katharina Holzinger, Roos Haer, Axel Bayer, Daniela Behr und Clara Neupert-Wentz
(Siehe online unter https://doi.org/10.1177/0010414018774347) - (2018): The Trials and Tribulations of Applied Triangulation. Weighing Different Data Sources. Journal of Mixed Methods Research, 12(2): 166-181
Kern, Florian G.
(Siehe online unter https://doi.org/10.1177/1558689816651032) - (2018): Traditional Institutions and Social Cooperation: Experimental Evidence from Buganda Kingdom, Research & Politics, 5(1): 1-9
Goist, Mitchell and Florian G. Kern
(Siehe online unter https://doi.org/10.1177/2053168017753925) - (2018): Which groups fight? Customary institutions and communal conflicts in Africa, Journal of Peace Research 55(4), 415-429
Wig, Tore und Kromrey, Daniela
(Siehe online unter https://doi.org/10.1177/0022343317740416) - (2019): Polygynous Neighbors, Excess Men, and Intergroup Conflict in Rural Africa, Journal of Conflict Resolution
Carlo Koos und Clara Neupert-Wentz
(Siehe online unter https://doi.org/10.1177/0022002719859636) - (2019): Traditional Political Institutions and Democracy: Reassessing their Compatibility and Accountability, Comparative Political Studies 52(12): 1747-1774
Baldwin, Kate und Katharina Holzinger
(Siehe online unter https://doi.org/10.1177/0010414019852686) - (2019): Traditional Political Institutions in Contemporary Politics (eds.), Special Issue of Comparative Political Studies 52(12), October, 2019
Baldwin, Kate und Katharina Holzinger
(Siehe online unter https://doi.org/10.1177/0010414019852686)