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Der "Eucken-Kreis": Bildungsbürgerliche Kulturkritik und neoidealistische Gesellschaftsreform, 1900-1950

Fachliche Zuordnung Neuere und Neueste Geschichte (einschl. Europäische Geschichte der Neuzeit und Außereuropäische Geschichte)
Förderung Förderung von 2011 bis 2017
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 206425590
 
Erstellungsjahr 2018

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Eine einfache Antwort auf die Leitfrage, ob man die Bewegung, die sich um Rudolf Eucken formierte, als Versuch einer Bewältigung der Moderne oder eher als Symptom einer intellektuellen Verweigerung des deutschen Bildungsbürgertums vor der Moderne deuten sollte, ist nach den in diesem Projekt dargelegten Befunden kaum möglich. Es zeigt sich vielmehr eine fast durchgängige Ambivalenz. In ihrem Kern stellte sich Euckens Lehre als Versuch dar, die moderne Gesellschaft im Rückbezug zum christlichen Glauben auf ein verbindliches Wertefundament zu stellen. Solche Denkfiguren gehören auch heute noch zum Grundbestand konservativer Weltanschauung und Parteiprogrammatik - samt ihren antipluralistischen Implikationen. Euckens Idealismus wandte sich mehr oder minder explizit gegen biologistische oder rassistische Weltsichten und Menschenbilder. Doch erfuhr dieser „deutsche Idealismus“ spätestens seit 1914 eine aggressive nationalistische Aufladung und erschien durchaus offen für antisemitische Ressentiments. Die intensiven Auslandskontakte, die Rudolf Eucken, der Euckenbund, das Euckenhaus und „Die Tatwelt“ pflegten, zeugen durchaus von Weltoffenheit und dem Wunsch nach grenzüberschreitendem Austausch und Völkerverständigung. Doch standen solche Kontakte oft genug im Dienste nationalistischer Kulturpropaganda, wurden getragen von einem borniert anmutenden kulturellen Überlegenheitsanspruch. Die Vorstellungen politischer und gesellschaftlicher Ordnung, die in den Schriften Rudolf Euckens und der Publizistik der Eucken-Bewegung formuliert wurden, können beim besten Willen nicht als demokratisch charakterisiert werden. Der Euckenbund nahm seit seiner Gründung gegen die Weimarer Republik und ihre parlamentarisch-demokratische Verfassung Stellung. Doch verband sich diese Ablehnung nicht unbedingt mit antilberalen, antizivilen oder gar totalitären Positionen. Rudolf Eucken selbst und nach seinem Tod auch die Publizistik des Euckenbundes billigten zwar dem Staat weitgehende Handlungsfreiheit gegenüber gesellschaftlichen Kräften, politischen Parteien und parlamentarischen Instanzen zu. Gleichzeitig war damit aber die Erwartung verbunden, dass der Staat zivile Freiheiten achtete, vor allem die Geistes- und Meinungsfreiheit und die Freiheit der Wissenschaft nicht antastete. Es führte demnach von der bildungsbürgerlichen Kulturkritik in der Variante Rudolf Euckens und der meisten seiner Anhänger kein direkter Weg zum Nationalsozialismus. Wenn auch einige der Aktivisten des Euckenbundes 1933 geneigt waren, die Lehre ihres verstorbenen Meisters mit der NS-ldeologie zu synchronisieren - so ging doch der engere Führungskreis auf Distanz zum Regime. Die weitere Geschichte der Eucken-Bewegung zeigt an, dass es bis zu einem gewissen Grad auch unter den Bedingungen der NS-Diktatur möglich war, zivile Freiräume zu erhalten. Allerdings waren dazu große Anstrengungen nötig, ebenso wie die Bereitschaft, dem Regime von Nutzen zu sein.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • Kapitalismus und Kutturkrise: Walter Eucken und die Philosophie Rudolf Euckens, in: Swen Steinberg / Winfried Müller (Hg.), Wirtschaft und Gemeinschaft. Konfessionelle und neureligiöse Gemeinsinnsmodelle im 19. und 20. Jahrhundert, Bielefeld 2014, S. 303-318
    Michael Schäfer
    (Siehe online unter https://doi.org/10.14361/transcript.9783839424063.303)
  • Die Sammlung der Geister. Euckenkreis und Euckenbund 1900-1943, in: Frank-Michael Kuhlemann / Michael Schäfer (Hg.). Kreise - Bünde - Intellektuellen-Netzwerke, Bielefeld 2017, S. 109-136
    Michael Schäfer
    (Siehe online unter https://doi.org/10.14361/9783839435571-005)
  • Kreise - Bünde - Intellektuellen-Netzwerke. Formen bürgerlicher Vergesellschaftung und politischer Kommunikation 1890-1960, Bielefeld 2017
    Frank-Michael Kuhlemann / Michael Schäfer (Hg.)
    (Siehe online unter https://doi.org/10.14361/9783839435571)
  • Kreise - Bünde - Intellektuellen-Netzwerke. For­ schungskontexte - Fragestellungen - Perspektiven, in: Frank-Michael Kuhlemann / Michael Schäfer (Hg.). Kreise - Bünde - Intellektuellen-Netzwerke, Bielefeld 2017, S. 7-30.
    Frank-Michael Kuhlemann / Michael Schäfer
    (Siehe online unter https://doi.org/10.14361/9783839435571-001)
 
 

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