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Die sprachliche Position des Westjiddischen zwischen Deutsch und Ostjiddisch

Fachliche Zuordnung Einzelsprachwissenschaften, Historische Linguistik
Förderung Förderung von 2011 bis 2019
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 202726722
 
Erstellungsjahr 2019

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Ziel der beiden aufeinander aufbauenden Projekte war es, eine bisher ungenügend dokumentierte Varietät, die von der jüdischen Bevölkerung im deutschsprachigen Gebiet ursprünglich gesprochene Sprache genauer zu fassen. Problematisch an der empirischen Situation vor Projektbeginn war die Tatsache, dass kaum empirisch verlässliche Angaben zu dieser Varietät existierten, dass jedoch unter anderem Theorien zur Entstehung des Ostjiddischen in Bezug auf die im Westen gesprochene Varietät von unterschiedlichen Annahmen ausgingen. Während etwa das Modell von Max Weinreich, dem Begründer der jiddischen Philologie und Linguistik, davon ausgeht, dass es sich bei West- und Ostjiddisch um zwei Zweige derselben Sprache handelt, die auf den gleichen Ursprung zurückgehen und sich auseinanderentwickelt haben, gehen andere Ansätze (etwa Betina Simon) davon aus, dass die im Westen gesprochene Varietät keine (ursprünglichen) Gemeinsamkeiten mit dem Ostjiddischen aufwies und das Ostjiddische von der im Westen gesprochenen Varietät ursprünglich völlig unabhängig war. Mit diesem Konzept verbunden ist in der Regel eine alternative Terminologie, die statt vom „Westjiddischen“ vom „Jüdisch-Deutschen“ (engl. u.a. auch „Ashkenazic German“) spricht. Die Situation wird dadurch noch verkompliziert, dass die in den jüdischen Gemeinden im deutschsprachigen Raum ursprünglich verbreitete Form der Umgangssprache mit dem Einsetzen der jüdischen Aufklärung (Haskala) und der Assimilation im Verlauf des 19. Jahrhunderts aufgegeben wurde, wobei jedoch bestimmte Merkmale (unter anderem Vokabular) erhalten blieben, den Sprechern in der Regel jedoch das Bewusstsein für die Unterscheidung mehr oder weniger stark vom Deutschen divergenter Varietäten (jenseits hebräisch-stämmiger Lexeme) fehlte. Im Projekt wurden systematisch Quellen gesucht, aufbereitet und analysiert, in denen die in den jüdischen Gemeinden im deutschsprachigen Raum gesprochene Sprache wenn nicht in linguistisch exakter Art und Weise dokumentiert so doch zumindest imitiert wurde. Neben den zahlenmäßig in der Minderheit stehenden Quellen von jüdischen Autoren, die teilweise im hebräischen, teilweise aber auch (vor allem in der 2. Hälfte des 10. Jahrhunderts) im lateinischen Alphabet geschrieben wurden, erwiesen sich Dokumente, die auf christliche Autoren zurückgehen, als erstaunlich ergiebig und vor allem, im Vergleich zu besonders vertrauenswürdigen Quellen und im Abgleich mit den vergleichsweise wenigen jungen, aber sprachwissenschaftlich verlässlich erhobenen Daten (u.a. Tonaufnahmen aus dem Elsass und der Schweiz, wo sich das Westjiddischen besonders lange hielt) als relativ exakt. Zwar haben manche Autoren die von Juden gesprochene Varietät etwa in Theaterstücken durchaus (auch und gerade in satirischer oder antisemitischer Absicht) verfälscht, jedoch auch recht häufig Merkmale in ihre Figurenrede eingebaut, die sich nicht nur konsistent über das gesamte Korpus hinweg immer wieder finden lassen, sondern auch in Einklang mit nach sprachwissenschaftlichen Kriterien erhobenen Materialien stehen. Dabei verwenden manche Autoren nur wenige, andere mehr und andere Selektionen von Merkmalen, die jedoch eine relativ klare Rekonstruktion einiger Merkmale der untersuchten Varietät erlauben. So ergibt sich unter anderem, dass für das Westjiddische insgesamt, auch in Gebieten, in denen sich in den deutschen Dialekten keine entsprechenden Entwicklungen finden, mhd. ei und ou zu /a:/ monophthongiert wurden, die Unterscheidung zwischen Ortsruhe und Richtung nach Präpositionen zugunsten des Dativs aufgegeben und dass der Diminutiv Plural durch eine distinkte Endung (-lieh) ausgedrückt wird. Da sich gerade bei den grammatischen Merkmalen die gleichen Entwicklungen auch im Ostjiddischen finden, spricht einiges dafür, das Weinreich’sche Modell mit seiner ursprünglichen Einheit und späteren Trennung in West- und Ostjiddisch beizubehalten.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

 
 

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