Wirksamkeit der Psychotherapeutischen Brückenintervention in der Anästhesiologie (BRIA)
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Die Brückenintervention in der Anästhesiologie (BRIA) ist ein niederschwelliges Psychotherapieprogramm für operative Patienten mit unbehandelten psychischen Störungen, das wir in einem interdisziplinären Projekt in den Anästhesieambulanzen der Klinik für Anästhesiologie, CCM und CVK, Charité - Universitätsmedizin Berlin, entwickelt und untersucht haben. In einem Stepped-Care-Ansatz kombiniert BRIA Interventionsmethoden von Screening und Kurzintervention, Motivational Interviewing, kognitiver Verhaltenstherapie, sowie Gesprächspsychotherapie. BRIA beginnt mit einer kurzen computergestützten Screening-Fragebogen-Untersuchung für alle erwachsenen operativen Patienten der Anästhesieambulanz. Themen sind unter anderem Lebensstil, Wohlbefinden, Depression, Angst und Suchtprobleme. Direkt im Anschluss an das Screening erhalten die Teilnehmer eine sofortige kurze schriftliche Rückmeldung über ihre persönlichen Ergebnisse der Befragung. Im nächsten Schritt bekommen Patienten, die in der Screening-Untersuchung klinisch relevante psychische Belastung aufweisen, die Möglichkeit, während der ersten postoperativen Tage an einer ausführlichen psychologischen Diagnostik-Untersuchung teilzunehmen. Schließlich erhalten Patienten mit diagnostizierten psychischen Störungen und Therapie-Interesse individuell ausgerichtete psychotherapeutische Brückengespräche, die ihnen dabei helfen sollen, nach dem Krankenhausaufenthalt ein adäquates psychosoziales Behandlungsangebot zu finden. Die BRIA-Gespräche können schon während der stationären Zeit in Anspruch genommen werden und erstrecken sich nach der Entlassung über einen Zeitraum von bis zu drei Monaten. Das wesentliche Ziel von BRIA besteht darin, operative Patienten mit psychischen Störungen zur Inanspruchnahme von psychosozialen Behandlungsangeboten der Regelversorgung zu motivieren und sie bei der Suche nach geeigneten Therapiealternativen zu unterstützen. Des Weiteren sollen im Rahmen der BRIA-Therapiekontakte erste Besserungen der individuellen psychischen Beschwerden erreicht werden. Die primäre Fragestellung des BRIA-Projekts ist die Untersuchung der Wirksamkeit der psychotherapeutischen Brückengespräche in einer randomisierten kontrollierten monozentrischen Therapiestudie. In einer Stichprobe von 220 chirurgischen Patienten mit psychischen Störungen wurde untersucht, ob die bis zu 3 Monate dauernde BRIA-Intervention wirksamer ist als die kurze schriftliche Rückmeldung inklusive Behandlungsempfehlung (Brief Written Advice, BWA), die die Patienten nach der Screening-Untersuchung erhalten haben. Insgesamt durchliefen 5.102 Patienten die computergestützte Screening-Fragebogen-Untersuchung, und 220 Patienten nahmen an der Psychotherapiestudie teil. Während die 110 Patienten in der BRIA-Gruppe nach der randomisierten Zuteilung Therapiesitzungen erhielten, bekamen die 110 Patienten der BWA-Gruppe nach der schriftlichen Rückmeldung der Screening-Ergebnisse kein zusätzliches therapeutisches Angebot. Nach 6 Monaten erfolgte die Erhebung der primären Ergebnisvariable (Inanspruchnahme / Warteliste von psychosozialen, psychiatrischen oder suchtmedizinischen Behandlungen) und der sekundären Ergebnisvariable (allgemeinen psychische Belastung, gemessen mit dem Gesamtwert General Severity Index [GSI] des Brief Symptom Inventory). In der Eingangsuntersuchung ergaben sich keine statistisch signifikanten Unterschiede zwischen den Patienten der BRIA-Gruppe und der BWA-Gruppe hinsichtlich wesentlicher soziodemographischer, psychologischer und medizinischer Charakteristika. Die häufigsten psychischen Störungen waren affektive Störungen (35%), Angststörungen (26%), Substanzkonsumstörungen (19%) und Anpassungsstörungen (15%). Zur 6-Monatserhebung betrugen die Raten an Patienten, die im Anschluss an die Studieninterventionen eine psychosoziale, psychiatrische oder suchtmedizinische Weiterbehandlung in Anspruch nahmen, 30% (33/110) in der BRIA-Gruppe und 11,8% (13/110) in der BWA-Gruppe (p=0,001). Number needed to treat und relative Risikoreduktion waren 6 (95% CI 4 bis 13) und 0,21 (0,09 bis 0,31). Diese auf binären Ergebnisdaten basierenden Effektgrößen lassen sich in die Effektgröße d konvertieren und entsprechen einem mittelstarken Effekt von d=0,6. In der BRIA-Gruppe sank die psychische Belastung (GSI) zwischen Eingangs- und 6-Monats-Untersuchung statistisch signifikant, während sie sich in der BWA- Gruppe nicht veränderte. Die Begleitforschung des BRIA-Projekts wurde anhand von verschiedenen Datensätzen der Teilnehmer der computergestützten Screening-Untersuchungen durchgeführt. Die Fragestellungen umfassen unter anderem die Häufigkeit von Psychotherapie-Interesse bei operativen Patienten mit psychischen Beschwerden, die Inanspruchnahme der verschiedenen Diagnostik- und Behandlungsangebote des gestuften BRIA-Programms, die Zusammenhänge zwischen Psychotherapie-Interesse und Ausmaß psychischer Belastung in verschiedenen Bereichen, die Stabilität und Chronizität klinisch relevanter psychischer Belastung, sowie die Assoziation von Depressivität und Krankenhausverweildauer. Aktuelle Untersuchungen, deren Veröffentlichung vorbereitet wird, beschäftigen sich mit Unterschieden der präoperativen Schmerzwahrnehmung bei Frauen und Männern, sowie dem Vergleich von Angst und Depression bei operativen Patienten und bei der Allgemeinbevölkerung. Das BRIA-Projekt zeigte, dass es sinnvoll, machbar und wirksam ist, ein kurzes innovatives Psychotherapieprogramm in den Kontext der interdisziplinären Versorgung operativer Patienten zu integrieren. Die randomisierte Therapiestudie des Projekts ergab, dass die BRIA-Gespräche sowohl zu erhöhter Inanspruchnahme weiterführender psychosozialer Therapiemaßnahmen führten, als auch zu einem Rückgang allgemeiner psychischer Belastung. Pressemeldung der Charité Universitätsmedizin Berlin, 10.12.2012 (http://www.charite.de/service/pressemitteilung/artikel/detail/chronische_psychische_beschwerden_bei_operativen_patienten/)
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- (2011) Bridging Intervention in Anaesthesiology: First results on treatment need, demand and utilisation of an innovative psychotherapy program for surgical patients. Clinical Health Promotion 1(2): 41-49
Lange LF, Spies C, Weiß-Gerlach E, Neumann T, Salz A-L, Tafelski S, Hein J, Seiferth N, Heinz A, Glaesmer H, Brähler E, Krampe H
- (2012) BRIA – Brückenintervention in der Anästhesiologie: Ein psychotherapeutischer Stepped-Care-Ansatz in der Anästhesiologie. Psychotherapie Aktuell 1/12: 19-23
Lange LF, Spies CD, Krampe H
- (2012) Persistence of psychological distress in surgical patients with interest in psychotherapy: Results of a 6-month follow-up. PLOS One 7(12): e51167
Kerper LF, Spies CD, Lößner M, Salz A-L, Tafelski S, Balzer F, Weiß-Gerlach E, Neumann T, Lau A, Glaesmer H, Brähler E, Krampe H
(Siehe online unter https://doi.org/10.1371/journal.pone.0051167) - BRIA erreicht OP-Patienten mit psychosozialen Behandlungsangeboten. Die BKK 03/2013: 110-113
Kerper LF, Spies CD, Krampe H
- (2014) Preoperative depression and hospital length of stay in surgical patients. Minerva Anestesiologica 80 (9): 984-991
Kerper LF, Spies CD, Buspavanich P, Balzer F, Salz A-L, Tafelski S, Lau A,, Weiß-Gerlach E, Neumann T, Glaesmer H, Wernecke K-D, Brähler E, Krampe H
- (2014) Screening for depression, anxiety and general psychological distress in preoperative surgical patients: A psychometric analysis of the Patient Health Questionnaire 4 (PHQ-4). Clinical Health Promotion 4 (1): 5-14
Kerper LF, Spies CD, Tillinger J, Wegscheider K, Salz A-L, Weiß-Gerlach E, Neumann T, Krampe H
- (2015) Effects of an innovative psychotherapy program for surgical patients: Bridging Intervention in Anesthesiology - A randomized controlled trial. Anesthesiology 123 (1): 148-159
Kerper LF, Spies CD, Salz A-L, Weiß-Gerlach E, Balzer F, Neumann T, Tafelski S, Lau A, Neuner B, Romanczuk-Seiferth N, Glaesmer H, Wernecke K-D, Brähler E, Krampe H
(Siehe online unter https://doi.org/10.1097/ALN.0000000000000685)