Die Evolution und Funktionsvariabilität von bunodonten Molaren bei Primaten
Final Report Abstract
Das Projekt widmete sich dem quantitativen Vergleich der Funktionsmorphologie ausgewählter Primatenmolaren. Im Fokus stand die funktionale Differenzierung des Kronenreliefs bezogen auf drei strukturelle Schlüsselentwicklungen in der Evolution der Primatenbezahnungen, die Integration eines Hypoconus in die oberen Molaren, die Entwicklung der Bilophodontie bei Cercopithecoidea und die Umsetzung des sogenannten Dryopithecus-Höckermusters der Menschenaffenartigen. Die Probenauswahl der einbezogenen Spezies richtete sich nach der Verfügbarkeit und dem Erhaltungszustand der Kiefer- und Zahnreste in den besuchten Forschungssammlungen. Zur Probengewinnung wurden zwei Forschungsreisen in die USA und nach Kenia durchgeführt. Viele Proben der rezenten Vergleichsstichprobe entstammen aus dem Sammlungsbestand des Senckenberg Forschungsinstituts in Frankfurt a.M. Zum ersten Mal kamen in einer umfangreichen vergleichenden Untersuchung der Molaren verschiedener Primatengruppen die virtuelle Methoden der „Occlusal Fingerprint Analyse“ zum Einsatz. Vor allem die unterschiedlichen Probengrößen der Molaren von kleinen Strepsirhiini bis hin zu großen Menschenaffen erforderten bei der Herstellung der digitalen Modelle in einer vergleichbaren Oberflächenauflösung und Genauigkeit Anpassungen in der Datenakquisition und –bearbeitung. Die Methoden konnten durch diese Herausforderungen entscheidend weiterentwickelt werden, so dass ein „Workflow-Protokoll“ mit Automatisierungen bei verschiedenen Datengewinnungsschritten nun für alle künftigen Untersuchungen zur Verfügung steht. Damit wurde eine neue quantitative Datengrundlage geschaffen, die es ermöglichte die publizierten qualitativen Aussagen bezüglich der Funktionsmorphologie von Primatenmolaren, z.B. von Maier (1977), erstmals vergleichend gegenüberzustellen und neu zu diskutieren. Die funktionalen Einflüsse der strukturellen Änderungen auf den Zahnkronen, bedingt durch die Entstehung neuer Elemente im Kontext mit dem Umbau der antagonistischen Krone, sind durch die neuen Möglichkeiten der kinematischen Bewegungssimulation mit der OFA-Software in ihrer biomechanischen Auswirkung verständlicher geworden. Während die Einführung eines Hypoconus in die Molaren als Verdoppelung, und eine grundlegende Erweiterung der funktionalen Möglichkeiten für weitere strukturelle Adaptationen, angesehen werden kann, lassen sich die verschiedenen evolutionär eingeschlagenen Wege (z.B. bilophodontes vs. dryopithecines Höckermuster) als verschiedene funktional weiterführende evolutive Lösungen nachvollziehen. Es stellte sich heraus, dass obwohl sie sich in ihrer generellen Funktionalität vielleicht sehr ähneln, unterscheiden sie sich jedoch in ihrer Variabilität. Einen wichtigen wissenschaftlichen Fortschritt zeigen sich in den Ergebnissen des quantitativen Vergleiches der Zunahme der okklusalen Phase 2 Komponente (Quetschen), sowohl bei den bilophodonten Cercopitheciden als auch bei den menschenaffenartigen Primaten. Allerdings stellt es sich heraus, dass mit der Etablierung des dryopithecinen Höckermusters offensichtlich eine vielfältigere neue Option für funktionale Detailänderungen eröffnet wurde. Diese übersteigt eine reine Reliefhöhenänderung mit mehr oder weniger steilen Scherschneidkontakten zur Funktionsmodifizierung, wie es bei den Cercopitheciden als dominante Variante umgesetzt ist. Die Varianten des dryopithecinen Kronenmusters und seiner Strukturelemente waren nicht nur für die Evolutionsgeschichte und Anpassungen der modernen Menschenaffen von besonderer Bedeutung, sondern sie zeichnen auch den einzigartigen Weg zum Homo sapiens nach. Funktionelle Wirkungen unserer kulturellen Entwicklung auf Anpassungen unseres Mastikationsapparates sind nicht mehr von der Hand zu weisen, nur fehlte uns bislang eine gute Datenbasis die Veränderungen in den Kiefern und Zähnen als einen biologischen Prozess in seinen funktionsmorphologischen Veränderungen nachzuvollziehen. Die gewonnenen Ergebnisse und Daten des Teilprojektes A2 und die neu entwickelten virtuellen Methoden, bilden gemeinsam mit den Ergebnissen der Teilprojekt A1, B2, D1-D3 der DFG-FOR 771 zur Funktionsmorphologie von Säugetiermolaren ein hervorragendes Fundament für zukünftige Modellierungen von Kausystemen. Denn, sobald wir die Kinematik der Okklusion und die Biomechanik von unterschiedlichen Kronenkonstruktionen umfassend verstehen, haben wir einen wichtigen Baustein für die künftige Modellierung der Kaudynamik. Durch die Kombination der kinematischen Occlusal Fingerprint Analyse (OFA) mit einer dynamischen Finite Elemente Modellierung (FEM), wie sie bereits vom Antragsteller in parallel stattfindenden Basisarbeiten zur Konstruktion des dryopithecinen Höckermusters, gemeinsam mit internationalen Partner, umgesetzt wurde, haben wir eine gute Möglichkeiten Adaptation in der Bezahnung und in den unterstützenden Skelettstrukturen mit funktionalen Modellen zu erklären. Die Ergebnisse einer biologischen Betrachtung der dentalen Anpassungen auf der Grundlage eines integrativen prozessorientierten evolutionsmedizinischen Ansatzes stellt auch für die moderne Zahnmedizin und Kieferorthopädie fundamentales Wissen bereit und bietet in der Forschung und für die Praxis eine fachübergreifende Zusammenarbeit an.
Publications
- (2012) An experimental approach to evaluate the correspondence between wear facet position and occlusal movements. The Anatomical Record, 295(5), 846-852
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Kullmer O, Benazzi S, Schulz D, Gunz P, Kordos L & Begun DR
(See online at https://doi.org/10.1016/j.jhevol.2012.10.009) - (2013) Individual tooth macrowear pattern guides the reconstruction of Sts 52 (Australopithecus africanus) dental arches. American journal of physical anthropology, 150(2), 324-329
Benazzi S, Kullmer O, Schulz D, Gruppioni G & Weber GW
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Benazzi S, Nguyen NH, Schulz D, Grosse IR, Gruppioni G, Hublin J-J, Kullmer O
(See online at https://doi.org/10.1371/journal.pone.0062263) - (2015) Exploring the biomechanics of taurodontism. Journal of Anatomy, 226 (2):180-188
Benazzi S, Nguyen HN, Kullmer O, Hublin J-J
(See online at https://doi.org/10.1111/joa.12260)