Pulse and Microrhythm. Metrical Timing Patterns in Five Musical Traditions from West Africa (Mali and Ghana)
Final Report Abstract
Etablierte Rhythmustheorien beschreiben temporales Gleichmaß (Isochronie) als Voraussetzung für die Empfindung metrischer Pulsation. Ungleiche Grundschlagsunterteilung (swing timing) wird als rhythmisch-performative, individuell expressive Abweichung vom metrischisochronen Raster interpretiert. Ein Vorgängerprojekt analysierte computergestützt das Timing von Mehrspur-Aufnahmen perkussiver Tanzmusik aus Mali (Djembe- Musik). Typologisch diverse, aber repertoirespezifisch invariante Swing-Timings zeigten ein hohes Maß an Konsistenz über diverse rhythmische Figuren, Ensemble-Parts, Tempi, Personalstile und andere Faktoren hinweg. Das Projekt entwickelte die Hypothese eines metrisch-normativen Status von Swing-Timings und untersuchte die Plausibilität, Struktur, Verbreitung und Bedeutung swing-basierter Metren in Westafrika. Herkömmliche Musikanalysen und computergestützte Analysen des Performance-Timings systematisch angelegter Mehrspur-Audio-Korpora zweier malischer Musikformen zeigten, dass zwei Ebenen nicht-isochroner Pulsation ineinander verschachtelt auftreten können (Percussion-Ensemble- Musik der Bambara und Khasonka). Dies deutet auf referentielle Funktion und hierarchische Struktur hin, zwei typische Merkmale musikalischer Metren. Die Untersuchung eines Nachwuchsensembles zeigte, dass Swing-Timing eine musikalische Grundfertigkeit darstellt, und nicht etwa eine besondere Fertigkeit von Spezialisten. Ein kontrolliertes Laborexperiment belegte, dass malische Instrumentalisten und Tänzerinnen die originalen Timing-Patterns präferieren und artifizielle Manipulationen umso schlechter bewerten, je stärker sie strukturell von den Originalen abwichen. Eine deutsche Kontrollgruppe zeigte dagegen keine klaren Präferenzen. Eine statistische Korpusanalyse demonstrierte, dass die Stabilität und Präzision der Synchronisation von Ensemblemitgliedern in malischer Perkussionsmusik extrem hoch ist und dabei swing-basierte Stücke nicht hinter jenen mit isochroner Subdivision zurückfallen. Abschließend überprüfte das Projekt die Möglichkeit kategorialer Wahrnehmung strukturell ungerader, metrischer Subdivisionen mittels eines Tapping-Experiments (senso-motorische Synchronisation). Malische Versuchspersonen nutzten eine rhythmische Kategorie „leicht ungerade“, die zwischen „gerade“ (1:1) und „ungerade“ (2:1) angesiedelt ist. Für bulgarische und deutsche Versuchspersonen liegt dagegen zwischen 1:1 und 1:2 nichts, was stabile Orientierung geben könnte; für sie fallen „ungerade“ und „leicht ungerade“ Rhythmen zusammen. Dies verweist auf die Erlernbarkeit und mögliche Kulturspezifität rhythmischer Wahrnehmungskategorien und lässt die Theorie swing-basierter Metren aus kognitionspsychologischer Sicht plausibel erscheinen. Andererseits zeigte das kulturvergleichende Experiment auch, dass andere Kategorien der Rhythmuswahrnehmung kulturübergreifend identisch zur Verfügung stehen. Die Aktivierung der kulturspezifischen Wahrnehmungskategorie „leicht ungerade“ setzt die musikalisch aufwändige Ausgestaltung und kognitive Fokussierung eines perzeptuellen Raumes voraus, der durch die universell verbreiteten und perzeptuell hoch wirksamen, angrenzenden Kategorien „gerade“ (1:1) und „ungerade“ (1:2) ausgesprochen eng begrenzt ist. Der timing-analytische Vergleich von fünf musikalischen Traditionen in Mali und Ghana ergab, dass auch die kulturräumliche Verbreitung swing-basierter Metren begrenzt ist. Ihre Prominenz erstreckt sich auf die Sahel- und Savannenzone, nicht jedoch auch auf die Wald- und Küstenzone Westafrikas. Wir haben es in kulturvergleichender Hinsicht mit einer hochgradig speziellen Form und im weltweiten Maßstab wohl selten genutzten Möglichkeit metrischer Struktur zu tun. Dies schmälert allerdings nicht ihre binnenkulturelle Relevanz und regionalstilistische Typikalität für diverse musikalische Traditionen in Mali und seinen Nachbarländern.
Publications
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Polak, Rainer