FOR 1614: Was wäre wenn? Zur Bedeutung, Epistemologie und wissenschaftlichen Relevanz von kontrafaktischen Aussagen und Gedankenexperimenten
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Die DFG-Forschungsgruppe „Was wäre wenn? Zur erkenntnistheoretischen, pragmatischen, psychologischen und kulturellen Signifikanz kontrafaktischen Denkens“ (leicht veränderter Untertitel der 2. Phase) hat von 2012-19 gearbeitet, mit Zentrum in Konstanz, aufgrund von Wegberufungen aber auch an der HU Berlin, der LMU München und in Genf. Sie setzte sich mehrheitlich aus Philosophen und Philosophinnen, aber auch Linguisten und Linguistinnen, Literaturwissenschaftlern und -wissenschaftlerinnen und Wissenschaftshistorikern zusammen. Die große Bedeutsamkeit des kontrafaktischen oder im weitesten Sinne konditionalen Denkens für unser gesamtes geistiges Leben liegt auf der Hand. Unser gesamtes kausales Weltbild basiert darauf, und ebenso unser gesamtes praktisches Denken, in dem es immer um die Abwägung geht, wozu die verschiedenen Optionen, wenn man sie realisierte, führen würden. Typischerweise drückt sich dieses Denken in indikativischen oder subjunktiven Konditionalsätzen aus; die sprachlichen Ausdrucksformen sind jedoch extrem vielfältig. Von der Satz- zur Textebene fortschreitend, redet man eher von Gedankenexperimenten, welche fließend in fiktionale literarische Großformen übergehen können. Diese Form der Rede ist aber auch höchst problematisch. Wie kann man mit ihr Wahrheitsansprüche verknüpfen – was wir ja ständig tun –, wenn wir mit ihr über nicht-realisierte Möglichkeiten sprechen? Seit ca. 50 Jahren hat sich die wissenschaftliche Literatur sehr detailliert und umfangreich, aber auch in uneinheitlicher, zersplitterter Weise mit den verschiedenen Aspekten dieses Themas befasst. Dass die Ausformungen des uns doch so vertrauten konditionalen Denkens gut verstanden wären, kann man trotzdem nicht sagen. Auf diesem Hintergrund war das Ziel der Forschungsgruppe, befriedigende Auswege aus dem Dilemma zwischen der praktischen und intuitiven Unverzichtbarkeit kontrafaktischer und konditionaler Aussagen und ihrer theoretischen Fragwürdigkeit zu finden. Die leitende Frage aus dem Erstantrag war dabei, „wie unser Nachdenken und Sprechen über nicht-aktualisierte mögliche Szenarien zu verstehen ist, um dessen Rolle in Erkenntnis und Wissenschaft gerecht zu werden“. Um diese Frage zu beantworten, waren „Grundlagenuntersuchungen zu logischen, semantischen, pragmatischen, epistemologischen und ontologischen Aspekten kontrafaktischer Konditionale und zur Methode von Gedankenexperimenten genauso erforderlich wie eine genaue Beschäftigung mit der Verwendung und Relevanz dieser sprachlichen bzw. epistemischen Mittel in verschiedenen Einzelwissenschaften“. Von der ersten zur zweiten Phase hat sich dabei das Interesse aus personellen wie sachlichen Gründen von der Großform der Gedankenexperimente weg- und zur Pragmatik und Dynamik des kontrafaktischen Diskurses hinbewegt. Angesichts der Vielfalt der Phänomene und der Ansätze war nicht zu erwarten, dass man das zersplitterte Gebiet zusammenführen und ihm womöglich einen einheitlichen Rahmen geben könne, auch wenn dies der ideelle Anspruch des Projekts war. Die Gruppe hat auch Schriften produziert, die unserer Meinung klarer Weise ein solches einheitsstiftendes Potenzial haben. Ob es sich tatsächlich entfaltet, kann man erst in vielen Jahren sehen. So lag das Schwergewicht der Arbeit auf sehr vielen (allermeist englischen) Aufsätzen, die aus den verschiedenen Blickwickeln heraus die vielfältigen Phänomene ins Visier nahmen, immer vom interdisziplinären Geist der Gruppe inspiriert und oft in effektiver Kooperation zwischen den Teilprojekten. Auch durch die vielen Workshops und Konferenzen war die Forschungsgruppe international sehr sichtbar. So hat sie ihre Thematik insgesamt in reicher, oft kleinteiliger Weise sehr fruchtbar weiterentwickelt.